Was bringt kanal­über­greifende Lieferung? Click-and-Collect und Heim­lieferung

Click-and-Collect und Heimlieferung aus dem Laden gehören heute für viele Händler und Konsumenten zum Alltag. Doch lohnen sich diese Lieferformen aus Händlersicht auch? Wie reagieren Konsumenten? Einer unserer kürzlich erschienenen Forschungsbeiträge widmet sich diesen Fragestellungen.

Kanalübergreifende Lieferung im Handel

Noch vor kurzem galt kanalübergreifende Lieferung als Heilmittel für den kränkelnden stationären Handel: Click-and-Collect (d.h. die Bestellung im Onlineshop und Abholung im Laden) und „Home Delivery“ (d.h. die Heimlieferung von Waren aus dem Geschäft heraus, oder zumindest aus dem Geschäft heraus ausgelöst) sind hier die Möglichkeiten. Mittlerweile ist der Hype um diese kanalübergreifenden Lieferformen abgeklungen – auch, weil viele Händler sie mittlerweile selbstverständlich anbieten. Ob Reservierung und Direktabholung bei großen Elektronikketten, oder Click-and-Collect im oder Bestellung der Wunschgröße/-farbe direkt aus dem Modehaus, neue kanalübergreifende Lieferwege sind für viele Verbraucher bereits Alltag. Sogar Walmarts diesjähriger und erster Super-Bowl-Werbespot widmete sich dem Thema Click-and-Collect.

Für Händler bleibt allerdings fraglich, ob sich das Angebot der neuen Lieferformen überhaupt lohnt. Dabei ist für Händler besonders interessant, ob durch Click-and-Collect oder Heimlieferung die Abwanderung von Kunden verhindert werden kann. Ein kürzlich unter dem Titel „Reducing competitive research shopping with cross-channel delivery“ im International Journal of Electronic Commerce erschienener Beitrag (von Anja Weber und des Autoren, verfügbar hier) widmet sich dieser Fragestellung. Dieser Beitrag fasst die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.

Click-and-Collect und Heimlieferung zur Vermeidung der Abwanderung

Für Händler dürften Click-and-Collect und Heimlieferung zur Vermeidung der Abwanderung von Kunden interessant sein. Hieran sieht man auch den Paradigmenwechsel im modernen Handel hin zum sogenannten „Omni-Channeling“: zielten Händler früher auf eine Vermeidung jeglichen Verkaufskanalwechsels (z.B. von Showrooming), so ist den Händlern heute bewusst, dass Kundinnen und Kunden den Verkaufskanal in jedem Fall wechseln werden, wenn sie dies wünschen (siehe auch vorheriger Blog-Beitrag). Der Versuch, potentielle Käufer vom Kanalwechsel abzuhalten, muss deshalb scheitern. Es geht nicht mehr darum, den Wechsel des Verkaufskanals zu vermeiden, sondern dass mit diesem auch ein Wechsel zur Konkurrenz einhergeht (sogenanntes „Research Shopping“ zum Wettbewerb; vgl. Abb. 1: Wechsel von Quadrant I zu III oder IV). Daher integrieren Händler ihre Verkaufskanäle: wenn Konsumenten den Kanal wechseln, dann bitte im eigenen Kanalsystem des Händlers („Research Shopping“ bei mir; Abb. 1: Wechsel von I zu II).

Research Shopping
Abb. 1: Research Shopping

Integration der Vorteile anderer Kanäle

Hier kommen die neuen Lieferformen ins Spiel: Click-and-Collect und Heimlieferung bieten eine Integration der Vorteile anderer Kanäle und machen einen Kanalwechsel deshalb unwahrscheinlicher. Bei Click-und-Collect geht es vor allem um die direkte Verfügbarkeit und das Testen der Ware. Beides sind üblicherweise Fähigkeiten, die Konsumenten eher dem Laden zuschreiben (vgl. auch vorheriger Beitrag). Durch Click-and-Collect lassen sich so die Vorteile des Onlineshops (z.B. Bequemlichkeit, Preistransparenz) mit denen des stationären Handels vergleichen (z.B. direkte Verfügbarkeit, Testen der Ware). Umgekehrt sieht es bei der Heimlieferung aus: Zwar schätzen viele Kunden den Besuch im Laden, wünschen sich aber mehr Komfort. Bei beiden Formen wandert der Kaufabschluss vor den Kanalwechsel: d.h. Kunden bestellen im ursprünglich besuchten Verkaufskanal (on- oder offline), die Lieferung erfolgt aber in einem andere Kanal (oder zumindest über dessen Mittel, wie etwa die Paketzustellung).

Verkaufsexperiment zur Untersuchung der Verhaltensänderung

Doch bringen diese Lieferformen tatsächlich etwas für Händler? Dazu wurde ein Verkaufsexperiment zur Untersuchung der Verhaltensänderung bei Konsumenten durchgeführt. Im Experiment wurden teilnehmende Konsumenten in zwei Kaufszenarien (On- oder Offline-Shop) versetzt und zufällig mit situationsbezogenen Faktoren (online: direkte Verfügbarkeit des Produktes nötig, da ein Geschenk; offline: Verabredung nach dem Besuch des Ladens) konfrontiert oder nicht. So entstanden vier Gruppen (on- und offline, je mit und ohne Situationsfaktoren). Diese vier Gruppen wurden nach ihrem Kaufverhalten gefragt: würden Sie (a) entweder direkt im derzeitigen oder (b) einem anderen Kanal des Händlers kaufen, (c) kanalübergreifende Lieferung nutzen, (d) innerhalb desselben Kanals zur Konkurrenz wechseln oder (e) in einem anderen Kanal zur Konkurrenz wechseln. Hierbei stellt (d) und (e) das ungewollte „Research Shopping“ zu Konkurrenz dar, wohingegen Händler (a)-(c) fördern möchten. 

Effekt von kanalübergreifender Lieferung

Fraglich nun, ob sich durch kanalübergreifende Lieferung „Research Shopping“ zum Wettbewerb vermeiden lässt. Zwar besteht allgemein ein positiver Effekt von kanalübergreifender Lieferung (vgl. Abb. 2A), dieser hängt aber von der Lieferform ab.

  • Heimlieferung („Home Delivery“) aus der Filiale senkt die Wahrscheinlichkeit des Kanalwechsels zum Wettbewerb allgemein. Wie Abb. 2B zeigt, ist dies unabhängig davon, ob Konsumenten sich gerade in einer Situation befinden, in der diese Lieferung besonders attraktiv wird (z.B. wenn sie danach noch in der Innenstadt schlendern oder Freunde treffen wollen): Der Anteil von „Research Shopping“ zum Wettbewerb sinkt in beiden Fällen. Diese allgemeine Vorteilhaftigkeit hängt vermutlich auch damit zusammen, dass für „Home Delivery“ im Experiment keine Zusatzkosten für die Nutzer entstanden – Kunden mussten also nicht abwägen, ob es sich lohnt, die Lieferform in Anspruch zu nehmen.
  • Anders sieht es bei Click-and-Collect aus: hier benötigen Konsumenten einen bestimmten Grund, um eine geringere Wahrscheinlichkeit vom Wechsel zur Konkurrenz zu zeigen (siehe Abb. 2C): der Anteil von „Research Shopping“ zum Wettbewerb nimmt nur ab, wenn ein Situationsfaktor vorliegt und nicht, wenn solch ein Faktor abwesend ist. Im Experiment wurde hier Zeitdruck bei der Bestellung (z.B. für ein dringend benötigtes Geschenk) als Situationsfaktor manipuliert. Dies ist auch logisch: im Gegensatz zur Heimlieferung entsteht hier für Konsumenten ein Zusatzaufwand (d.h. indirekte Kosten), da sie sich ins Geschäft bewegen müssen, um die Waren entgegen zu nehmen.

Weitere Details zur zugrundeliegenden Theorie, dem Forschungsdesign und den statistischen Tests finden sich im Artikel. Dort werden außerdem die Ergebnisse einer Feldstudie mit einer Handelskette berichtet, in der die Motivation zur Nutzung kanalübergreifender Lieferung genauer ergründet wird

Click-and-Collect, Home Delivery und Reseach Shopping
Abb. 2: Ergebnisse des Experiments

Senkung der Wahrscheinlichkeit zum Wechsel zur Konkurrenz

Zusammenfassend kann man sagen, dass kanalübergreifende Lieferung zwar einen positiven Effekt im Sinne einer Senkung der Wahrscheinlichkeit zum Wechsel zur Konkurrenz (kompetitives „Research Shopping“) hat. Dieser Effekt benötigt für Click-and-Collect allerdings einen situationsspezifischen Grund, ohne den Konsumenten den Zusatzaufwand für einen Ladenbesuch scheuen. Neben den manipulierten Gründen (z.B. Zeitdruck), lassen sich aber auch andere vorstellen (z.B. Click-and-Collect: Wunsch  nach Anprobe und Vergleich eines besonders hochwertigen Produktes; Wunsch nach Beratung). Nicht betrachtet wurde in der Untersuchung die finanziellen Auswirkungen: durch kanalübergreifende Lieferung entstehen für den Händler Mehrkosten (z.B. bei der Heimlieferung), die durch die gesenkte Wechselbereitschaft zur Konkurrenz gegenfinanziert werden müssen.


Dieser Beitrag basiert auf einer Forschungsarbeit, welche unter dem Titel „Reducing Competitive Research Shopping With Cross-Channel Delivery“ im International Journal of Electronic Commerce (2020, Vol. 24, Nr. 1, S. 78-106, Autoren: Anja Weber & Erik Maier) veröffentlicht wurde.

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