Wie 3D-Druck & Co. Lohnfertiger zu Händlern macht

Branchengrößen wie Apple, BMW, Mattel & Co. konzentrieren sich seit einiger Zeit auf diejenigen Unternehmensbereiche, in denen sie ihre Kernkompetenzen sehen. In den meisten Fällen sind das die Produktentwicklung, das Marketing und der Vertrieb. Die Fertigung ihrer Produkte oder wesentlicher Bestandteile überlassen diese Unternehmen häufig anderen Firmen, den sogenannten Lohnfertigern oder Fertigungsbetrieben. Dieser Beitrag erläutert, wie durch digitale Produktion (z.B. 3D-Druck) aus diesen Lohnfertigern Händler werden könnten.

3D-Druck
Foto: HP Inc.

Lohnfertiger als wichtiger Bestandteil vieler Produktionsprozesse

Lohnfertiger haben in den allermeisten Fällen nur eine rudimentäre oder keine eigene Forschung & Entwicklung und produzieren rein im Auftrag ihrer Kunden. Die Komplexität der Lohnfertigung variiert dabei gewaltig, von der Produktion einzelner, einfacher Komponenten bis hin zur Fertigung komplexer Geräte (z.B. Foxconn) oder von Vor- und Kleinserien. In die erste Kategorie fallen die meisten CNC- und Spritzgussbetriebe.

Fertigungsbetriebe und Zulieferer von Komponenten sind zwar nur ein relativ kleines Rad im großen Wirtschaftskreislauf. Dies sollte nicht über ihre Bedeutung für eine Vielzahl von Branchen und Produkten hinwegtäuschen, denn viele Lohnfertiger liefern elementare Bestandteile von hochkomplexen Produkten.

Lohnfertiger nutzen bisher direkte Vertriebswege und bauen auf loyale Kundenbindungen

Die Nähe vieler Fertiger zum Kunden stellt eine Quelle von Intransparenz dar. Zum Beispiel ist die Preisbildung der Lohnfertiger für Außenstehende nicht nachvollziehbar, da diese in einem aufwendigen Verfahren erfolgt. Grund hierfür sind die wenig standardisierten Produktionsprozesse und der daraus entstehende hohe Abstimmungsbedarf zwischen dem Lohnfertiger und dem Kunden. Bisher kann dieser Vorgang einige Tage bis zu wenigen Wochen dauern und erfordert substantielle Ressourcen. Die vorhandene Vielfalt an Maschinen, Gerätschaften und Produktionsmethoden erschwert es dem Auftraggeber, einen aussagekräftigen Preisvergleich durchzuführen.

Dies führt dazu, dass Kunden meist nur Angebote weniger Lohnfertiger anfragen, da der Aufwand zusätzlicher Anfragen als zu hoch erscheint. Lohnfertiger bevorzugen daher ein direktes Vertriebsmodell: Meist gibt es einen Account-Manager für die oftmals regionalen Kunden. Weiteres Marketing findet über Messen, Konferenzen, Meetings und Industrieveranstaltungen satt. Eine Onlinepräsenz ist oft gar nicht vorhanden oder nur rudimentär ausgeprägt. Durch die Nähe des Fertigers mit den relativ wenigen Kunden ergibt sich häufig auch eine sehr hohe Abhängigkeit von einigen wenigen Kernkunden. Dies führt dazu, dass oftmals zehn oder weniger Kunden weit über 90 % des Umsatzes solcher Firmen ausmachen.

Die digitale Fertigung ist disruptiv für das etablierte Vertriebsmodell

Digitale Fertigungsmethoden können das Vertriebsmodell der Lohnfertiger stark beeinflussen. Digitale Fertigung umfasst einen größeren Bereich an Produktionsmethoden, die gängigsten sind zerspanende Verfahren, insbesondere CNC-Fertigung (bspw. Drehen, Fräsen), aber auch generative Verfahren (additive Fertigung oder auch 3D-Druck – hier ein aktuelles Beispiel von Volkswagen). Additive Technologien sind in den vergangenen Jahren vor allem durch neue Verfahren (z.B. Multi Jet Fusion zur Kunststoffproduktion) in der Fertigung konkurrenzfähig geworden und emanzipieren sich zunehmend von der klassischen Prototypen-Herstellung.

Neben möglichen technologischen, ökonomischen und ökologischen Vorteilen dieser Verfahren, beeinflussen sie auch das Vertriebsmodell: durch eine erhöhte Vergleichbarkeit der Produktionsmethoden und eine radikale Vereinfachung der Preisberechnung wird Transparenz ermöglicht. Gerade bei den additiven Fertigungstechnologien (z.B. 3D-Druck) tritt diese Veränderung verstärkt zutage. Die bessere Vergleichbarkeit der Produktion kommt dadurch zustande, dass quasi alle für die Serienproduktion geeigneten Maschinen, von einer geringen Anzahl an Herstellern stammen (HP, GE, EOS, SLM Solutions). Meist übernehmen die Hersteller auch den Vertrieb der Materialien, sodass die Maschinen und das Produktionsmaterial in dieser Branche ohne großen Aufwand vergleichbar sind. Das heißt Maschinen- und Materialkosten sind für die Kunden und die Konkurrenten fast transparent.

Die zweite Besonderheit der additiven Fertigung ist die Transparenz der Preisgestaltung. Nahezu alle relevanten Parameter der Preisberechnung können schon mithilfe der 3D-Konstruktionsdaten herausgefunden werden. Durch spezielle Softwareprogramme (AMFG, 3Yourmind) kann die Preisberechnung für ein 3D-gedrucktes Objekt innerhalb von wenigen Sekunden durchgeführt und dem Interessenten dargestellt werden.

Ähnlich verhält es sich bei den zerspanenden Verfahren, allerdings sind die oben genannten Effekte hier nicht so stark ausgeprägt wie beim 3D-Druck. Dies liegt vor allem daran, da sich die Preisberechnung wesentlich komplexer gestaltet als dies im Bereich des 3D-Drucks der Fall ist.

Gesucht: ein neues Geschäftsmodell

Aus der durch digitale Fertigung entstandenen zusätzlichen Transparenz lassen sich drei Schlüsse für Lohnfertiger ziehen:

  1. Die höhere Vergleichbarkeit der Dienstleistung führt letztendlich zu einer „Commoditisierung“ der Dienstleistung mit Fokus auf dem Preis.
    Die Produkte der Dienstleistung, die Fertigung von Kunststoff- oder Metallobjekten, sind aufgrund der Vergleichbarkeit von Maschinen und Material über alle Dienstleister nahezu transparent. Lieferzeiten, Kundenservice und Qualität können als „Hygienefaktoren“ betrachtet werden – entsprechen diese nicht den Ansprüchen der Kunden, kann sich der Lohnfertiger (Dienstleister) nicht im Markt halten. Folglich ist davon auszugehen, dass sich die Entscheidungskriterien weitgehend auf den Preis konzentrieren. Loyale Kundenbeziehungen, die bisher dominant waren, werden in Zukunft seltener werden.
  2. Durch den starken Fokus auf dem Preis, wird sich der Markt stark konzentrieren.
    Es gibt im 3D-Druck derzeit dutzende Lohnfertiger allein in Deutschland, global geht die Anzahl in die Tausende. Diese Fragmentierung des Marktes ist langfristig nicht haltbar, sondern der Markt wird sich konzentrieren. Denn auch in der additiven Fertigung wirken Skaleneffekte. Größere Mengen an Materialien können günstiger eingekauft werden, ebenso verhält es sich bei den Maschinen. Die Produktionsabläufe können optimiert und effizienter gestaltet werden. Insbesondere im Bereich der Nachbearbeitung (sog. „Finishing“) können, bei einer höheren Anzahl an Fertigungseinheiten, die Maschinen zur Nachbearbeitung besser ausgelastet werden. Oder es lohnt sich, nun in effizientere Maschinen zu investieren. Manch ein Lohnfertiger wird erst bei einer bestimmten Menge an Maschinen über ein Finishingangebot nachdenken. Aber auch im Bereich der Produktionsvorbereitung ergeben sich ab einer gewissen Auslastung große Optimierungspotenziale. In Sachen Preis-Leistungs-Verhältnis werden sich kleinere Anbieter kaum noch im Markt halten können. Derartige Entwicklungen sind in Anfängen schon erkennbar. So ist bspw. Materialise (Belgien) mit einem Jahresumsatz in der Additiven Lohnfertigung von rd. EUR 64 Mio. derzeit einer der größten Anbieter solcher Dienstleistungen. Mit dem Preisgefüge des Branchenführers können derzeit nur wenige Firmen mithalten.
  3. Die Digitalisierung des Geschäftsmodells wird über Erfolg und Misserfolg entscheiden.
    Welche Spieler zu den führenden Kräften im Markt werden, wird sich neben dem Preis aber vor allem dadurch entscheiden, welche Firmen es schaffen, ihr Vertriebsmodell grundlegend zu verändern und den Anforderungen dieses Marktes anzupassen. Die erste Erkenntnis ist, dass die Bedeutung des Direktvertriebes signifikant abnehmen wird. Dies ergibt sich aus dem verringerten Abstimmungsbedarf mit dem Kunden und die gestiegene Vergleichbarkeit der Preise. Dadurch verändert sich das Vertriebsmodell der Lohnfertiger, sie wandeln sich von einem Dienstleister quasi zum Händler, da zwischen Bestellung und Auslieferung im besten Fall kein Mensch mehr eingreifen muss. Die dazugehörigen Shop-Systeme sind heute schon vergleichbar mit den bekannten Systemen der großen Onlineshops der Internethändler. Auch das Marketing ist mit diesen vergleichbar (z.B. SEO, SEA), allerdings mit einem Fokus auf B2B. Die Notwendigkeit vor Ort zu sein, ist auch nicht mehr gegeben, da die Beratung am Telefon oder über einen Chat erfolgt. Selbst die Geldtransaktionen werden online abgewickelt.

Neue Anforderungen an Lohnfertiger durch 3D-Druck & Co.

Für die Kunden bietet dieses Geschäftsmodell zahlreiche Vorteile. Neben einer hohen Preistransparenz ist auch der Aufwand für das Abschließen der Transaktion drastisch reduziert. Für die Lohnfertiger reduziert sich der Aufwand der Angebotserstellung und ineffiziente Methoden wie der Direktvertrieb werden überflüssig.

Dies bedeutet für die Lohnfertiger auch, dass sich die Kompetenzen weg von Vertrieb und von technischer Beratung hin zum Onlinemarketing entwickeln müssen. So werden Onlinemarketing-Experten die neuen Vertriebler und in der Angebotserstellung ist weniger qualifiziertes Personal erforderlich. Insbesondere Ersteres wird einige Unternehmen vor Herausforderungen stellen, da derartige Kompetenzen bei den meisten Unternehmen nicht vorhanden sind, und einschlägiges Fachpersonal schwer zu bekommen ist.

Eine noch weit wichtigere Rolle jedoch spielen Softwaresysteme, welche die Geschäftsprozesse weitgehend digitalisieren. Einige spezialisierte Start-up Firmen haben derartige Systeme entwickelt. Der Fokus liegt dabei auf Funktionen wie Sofortangebote, aber auch CRM- und ERP-Anwendungen. Lösungen zu Sofortangeboten ermöglichen Kunden beispielsweise, ihre Konstruktionsdaten auf der Internetpräsenz des Lohnfertigers hochzuladen und unmittelbar ein verbindliches Angebot zu erhalten. Dies stellt einen signifikanten Zeitgewinn für den Kunden und den Dienstleister dar. Häufig stellen diese Softwaresysteme zusätzlich auch grundlegende Funktionen für das Kundenmanagement und die Produktionssteuerung zur Verfügung.

Derartige Allrounder gibt es beispielsweise von AMFG, 3Yourmind, Imnoo und DigiFabster. Jedoch wurden alle Systeme primär für die Angebotserstellung entwickelt und verfügen über eher rudimentäre CRM & ERP Funktionalitäten. Andere Softwaredienstleister fokussieren sich wiederum auf andere Aspekte, so gibt es von Fabpilot und Materialise, Systeme zur Produktionssteuerung. Das von Materialise eingesetzte System geht sogar so weit, dass von Angebotserstellung bis zur Produktion die Konstruktionsdaten von keinem Mitarbeiter mehr überprüft werden müssen.

Der Lohnfertiger der Zukunft ist ein E-Commerce-Unternehmen

Es vollzieht sich ein Wandel der digitalen Lohnfertiger von einem Dienstleister mit einer digitalen Fabrik hin zu einem „quasi Händler“, da von der Auftragserstellung bis zu Aufbereitung für den Versand in der Regel kein Mitarbeiter mehr eingreifen muss (von der Bestückung der Maschinen abgesehen). Der direkte Vertrieb wird bei 3D-Druck & Co. nahezu verschwinden und fast vollständig über Onlineplattformen stattfinden. Dabei müssen die Lohnfertiger auf Vertriebs- und Marketingprozesse aufbauen, wie sie bereits vom reinen Onlinehändlern angewendet werden.


Markus MayFoto: Invent Medical Der Gastautor, Markus May, ist Geschäftsführer des 3D-Druck-Dienstleisters 3Faktur, welchen er nach seiner Tätigkeit als Unternehmensberater bei McKinsey & Company mitgründete.

Dieser Beitrag ist Teil einer Serie, die Praktiker als Gastautoren zu Wort kommen lässt (siehe vorheriger Beitrag zur Nutzung von Daten in digitalen Geschäftsmodellen).