Lange haben Händler geglaubt, allein über das Zufügen weiterer Verkaufskanäle im Wettbewerb bestehen zu können. „Wir haben jetzt doch auch einen Onlineshop, warum wird es nicht besser?“ war jedoch eine Frage, die sich Viele stellen mussten. Dieser Beitrag findet die Antwort darauf in der fehlenden Integration der Verkaufskanäle. Nur solange das gesamte System aller Verkaufskanäle eines Händlers optimiert und integriert wird, lassen sich aus Mehrkanalsystemen Wettbewerbsvorteile erzielen. Daher liegt die Bedeutung von Omni-Channel im Fokus auf System- und nicht auf Kanalerfolg.
Ist Multi-Channel = Omni-Channel?
Die erste Frage, die sich Händlern häufig stellt, ist die nach dem Unterschied zwischen Mono-, Multi- und Omni-Channel. Die Antwort hierauf liegt in der Anzahl und Verknüpfung der Verkaufskanäle, wie in Abb. 1 dargestellt:
- Mono-Channeling bezeichnet das Vorhandensein eines Verkaufskanaltyps (z.B. Läden oder eines Onlineshops).
- Multi-Channel beschreibt das Vorhandensein mehr als eines Verkaufskanaltyps (z.B. Läden und ein Onlineshop). Diese werden aber getrennt, als sogenannte „Silos,“ betrieben (z.B. eigene Abteilung für den Onlinehandel; Verkäufer versuchen, den Kauf im Laden abzuschließen, statt die Kundin an den eigenen Onlineshop „zu verlieren“).
- Über Omni-Channel spricht man als vollständige, „nahtlose“ Integration aller verfügbaren Verkaufskanäle (vgl. Verhoef et al., 2015), bei der für Kunden und Händler der Ort der Kundengewinnung und des Kaufabschlusses keine Rolle mehr spielen.
Wenn eine Händlerin also mit einem Typ von Verkaufskanal beginnt (z.B. stationäre Baumärkte), so stellt Multi-Channeling eine Entwicklungsstufe auf dem Weg zum Omni-Channeling dar: erst werden Verkaufskanäle hinzugefügt (z.B. ein Onlineshop) und diese dann miteinander verbunden.
Die Geschichte des Mehrkanalsystems als Grund für fehlende Integration
Die Geschichte des Mehrkanalsystems ist aber gleichzeitig ein häufiger Grund für dessen fehlende Integration. Viele Händler verfügten ursprünglich nur über einen Verkaufskanal (siehe Abb. 1 links): so hatten viele etablierte Händler lange nur stationäre Läden, aber auch viele E-Commerce „Pure Player“ waren häufig nur im Internet präsent.
Wenn ein Kunde dann im Laufe des Kaufprozesses den Verkaufskanal wechselte, bedeute dies automatisch den Verlust des Kunden an die Konkurrenz. Besuchte dieser zuerst den Laden, etwa um ein paar Schuhe anzuprobieren, und kaufte diese dann im Internet (sogenanntes „Showrooming“), war das schlecht für den Händler und gut für den E-Commerce-Shop, in dem der gekauft wurde. Umgekehrt, recherchierte eine Kundin zuerst in diversen Onlineshop nach ihrem bevorzugten Notebook, kaufte dann aber beim Händler um die Ecke (sogenanntes Webrooming), ging der Onlinehändler leer aus. In diesem System war jeder Verkaufskanalwechsel (on- zu offline oder umgekehrt) also einer zu viel. Diese Mentalität hält sich bis heute in Teilen des Handels. Auch in der Wissenschaft wurde früher das sogenannte Trittbrettfahren („freeriding“, vgl. van Baal & Dach, 2005, S. 76) der Verbraucher auf dem Angebot eines Verkaufskanals (z.B. stationäre Beratung) kritisiert.
Multi-Channel-Handel und der Fokus auf Kanalerfolg
Die Zeiten eines „Weiter so wie immer“, mit nur einem Verkaufskanal, sind mittlerweile aber glücklicherweise für die meisten Händler Geschichte. Um dem steigenden Wettbewerb aus dem Internet zu begegnen, eröffneten viele Händler eigene Onlineshops. Gleichzeitig etablierten in den letzten Jahren immer mehr „Pure Player“ eigene Filialen (siehe auch folgenden Beitrag: Warum geht der Onlinehandel offline?). Somit entwickelten sich die meisten größeren Händler zu Multi-Channel-Unternehmen (Abb. 1 Mitte).
Die Grundüberzeugung, dass Kanalwechsel negativ zu beurteilen sind, hielt sich aber. Einerseits, da die Kanäle häufig getrennt organisiert wurden (z.B. als eigene, „junge“ Onlineabteilung), was Gegensätze eher verschärf. Anderseits, bedeutete aus Sicht der einzelnen Verkaufskanalverantwortlichen (z.B. der Geschäftsführerin einer Filiale), ja immer noch jeder Verkaufskanalwechsel (z.B. in den Onlineshop) weniger Umsatz im eigenen Laden. Dieser Fokus auf den Erfolg einzelner Kanäle ist durchaus nachvollziehbar (z.B. aus der Gewohnheit der Steuerung der Filialen; oder um dem Onlineshop in einer frühen Entwicklungsphase genug Aufmerksamkeit zukommen zu lassen), verhindert aber eine Optimierung des Gesamtsystems, wie unten erläutert wird.
Zwar sollte individueller Kanalerfolg in der Summe zu geschäftlichem Gelingen führen. Aber durch eine „Silo-Mentalität“ der Verkaufskanäle ist es unwahrscheinlich, dass diese gemeinsam Synergien erzeugen. Zusätzlich besteht das Risiko, dass ich einzelne Verkaufskanäle behindern. So könnten z.B. Kunden verschreckt werden, wenn Verantwortliche unbedingt einen Verkaufsabschluss in „ihrem“ Kanal suchen – mit dem Resultat des Kundenverlusts, z.B. als „Showrooming“ eines Wechsels aus der Filiale in den Onlineshop der Konkurrenz (siehe Abb. 2 Mitte).
Somit bleiben auch die Interaktionsmöglichkeiten der einzelnen Verkaufskanäle im Multi-Channeling häufig begrenzt, was die Wertschöpfung für Kunden mindert: Bestellungen aus der Filiale im Onlineshop mit anschließender Lieferung oder Sortimentstransparenz über die Verkaufskanäle sind hier nicht möglich oder nicht gewollt.
Omni-Channel: Systemsicht siegt
Der Omni-Channel-Handel folgt einer vollkommen anderen Herangehensweise: nicht mehr der einzelne Kanalerfolg steht im Fokus, sondern die Leistung des gesamten Verkaufskanalsystems. Abb. 1 verdeutlich dies auf der rechten Seite dadurch, dass die Mauern des Multi-Channel-Ansatzes durch eine gemeinsame gestrichelte Box ersetzt werden. Diese Darstellung soll verdeutlichen, dass es nicht mehr darum geht, Kanalerfolg zu gewährleisten, sondern das System als Ganzes zu verbessern.
Somit ist es vollkommen egal, ob die Kundin den Verkaufskanal wechselt – solange sie im Ökosystem des Händlers bleibt. Der Ort der Kundengewinnung und des Kaufs sind im Omni-Channel-Ansatz relevante Größen, sie müssen aber nicht mehr identisch sein. Denn Show- und Webrooming sind aus Kundensicht rationale Verhaltensformen, da sie die Vor- und Nachteile verschiedener Verkaufskanäle ausgleichen (siehe den Post zu Reaktionen des Handels auf den E-Commerce). Deshalb erscheint der Versuch, den Wechsel des Verkaufskanals zu verhindern, von Anfang an aussichtlos. Händler sollten lieber versuchen, Kunden an sich zu binden, egal wo.
Dass die Optimierung der Verkaufskanäle verbessert, leuchtet schon auf einer abstrakten Ebene ein: werden im Multi-Channel nur einzelne Läden verbessert, ermöglicht Omni-Channeling einen ganzheitlichen Ansatz. Beispielsweise geht es hier darum, den besten Ort für die Kundenakquise zu finden, um Kunden anschließend in dem Kanal zu konvertieren, der die besten Chancen auf den Kaufabschluss bietet. Produkte, bei denen der Onlinekauf eine hohe Unsicherheit mitbringt (z.B. Möbel, Brillen), oder wo der Kauf von Kundenströmen online sehr kostspielig ist (z.B. durch starken Wettbewerb um wenige relevante Suchbegriffe, wie etwa „Möbel online“), können von der stationären Kundengewinnung profitieren. Anschließend können Kunden dort kaufen, wo der Kauf für sie am angenehmsten ist – zum Beispiel im Onlineshop mit komfortabler Lieferung nach Hause.
Andererseits recherchieren Kunden für Produkte, bei denen viele (unabhängige) Informationen relevant sind (z.B., technische Daten von Unterhaltungselektronik), vermutlich häufiger online, und können dort leichter gewonnen werden. Das Produkt kann anschließend, z.B. per Reservierung, sofort in der eigenen Filiale gekauft werden. Dies sind nur zwei Beispiele für die Vorteile ei-nes integrierten Verkaufsansatzes, der die einzelnen Kanäle als „System“ begreift. Wo und wie Kaufinteressenten am besten gewonnen und zum Kauf bewegt werden, unterscheidet sich aber für verschiedene Produkte.
Omni-Channel setzt sich im Handel durch
Diese Philosophie der Systemsicht ist mittlerweile bei vielen Händlern angekommen. Der CEO des amerikanische Handelsunternehmens Macy’s bringt es auf den Punkt: „wir verpflichten uns zur Wertschöpfung am Kunden, egal ob online, mobil oder im Laden“ (Terry J. Lundgren, Brief an die Aktionäre, 2015, S. 1). Daher gehören kanalübergreifende Lieferung und Bestellung bei großen Händlern mittlerweile zum Standard, wie auch eine unserer Untersuchungen gezeigt hat (Studie zu Reaktionen des Offline- auf den Onlinehandel). Kleinere Händler tun sich hingegen schwer, auch da eine Integration (z.B. des Warenwirtschaftssystems) verschiedener Kanäle zeit- und ressourcenaufwändig ist. Nur über eine Verbesserung des Systems als Ganzes kann aber der Mehrwert am Kunden gesteigert werden, was letztlich auch mehr Umsatz für die Händler bedeutet.
Siehe auch die vorherigen Beiträge zu Omni-Channel im Deutschen Handel oder Mehrkanalansätzen im Buchhandel.