Plattform-Marketing zwischen Sog und Verdrängung des Wettbewerbs

Die Geschäftsmodelle verschiedener Typen von Plattformen bestimmen den Aufwand, den die Unternehmen betreiben müssen, um zu wachsen. Für welchen Typ Plattform besteht die Hoffnung auf eine Sogwirkung und exponentielles Wachstum und welcher muss erst den Wettbewerb verdrängen, um erfolgreich zu sein?

Der vorherige Beitrag („Was sind Plattformen?“) befasste sich mit dem Unterschiede zwischen „echten“ und „unechten“ Plattformen. Die Abgrenzung ist an sich irrelevant, hat aber Auswirkungen auf den Marketingaufwand, den die Plattform-Geschäftsmodelle betreiben müssen, um zu wachsen.

Der Unterschied zwischen „echten“ und „unechten“ Plattformen liegt darin, dass tatsächliche Plattformen den Marktzugang für beide Parteien und die Interaktion zwischen diesen weitestgehend frei lassen. Dieses Organisationsprinzip erwächst aus dem ursprünglichen Wertversprechen von Plattformen: diese bringen Parteien zusammen, die sich ohne die Plattform nur deutlich schwieriger gefunden hätten, weil Informationen über die jeweils andere Partei fehlen.

Die Plattform als Informationsschnittstelle auf kleinteiligen Märkten

Frühe Plattformmodelle zeigen dieses Prinzip des gegenseitigen Informationsaustausches deutlich. OpenTable, gegründet 1998, als der Begriff „Plattform“ noch nicht in aller Munde war, ersetzt den Reservierungsanruf in Restaurants: die Plattform informiert Gäste über freie Tische in örtlichen Restaurants, so dass für Interessierte kein Anruf bei zahlreichen Lokalen mehr nötig ist; gleichzeitig können aber auch Restaurants den Bedarf durch die Vielzahl möglicher Kunden effizienter planen, da zum Beispiel weniger Gäste anrufen. Je kleinteiliger der Markt (d.h. viele kleine Restaurants die schnell belegt sind; zahlreiche kleine Gästegruppen), desto mehr erleichtert eine Plattform als Informationsschnittstelle den Austausch zwischen den Parteien.

Es sind also fragmentierte (oder anders: kleinteilige) Märkte mit vielen Anbieter und Nachfragern, die am stärksten von Plattformen als Informationsschnittstelle profitierten, da beide Seiten wenig voneinander wissen. Auch Geschäftsmodelle wie AirBnB (viele private Wohnungsbesitzer und potentielle Gäste) oder Uber (zahlreiche private Fahrer und Chauffierte) schaffen Mehrwert durch dieses Prinzip des Informationsaustausches auf kleinteiligen Märkten. Dass einige dieser Plattformen mittlerweile durch professionelle Anbieter genutzt werden, ist ein anderes Thema. Wichtig ist der Wirkungszweck der Plattform als Schnittstelle zwischen zwei Parteien, die sich vorher nicht effizient austauschen konnten (d.h. Angebot und Nachfrage wussten zu wenig übereinander). Daraus erwächst ein Wettbewerbsvorteil zu bestehenden Buchungsformen für die gleichen Produkte oder Dienstleistungen (d.h. Anruf, Buchung direkt beim Anbieter, etc.).

Sogwirkung als anfänglicher Wachstumstreiber bei echten Plattformen

Dieser Informationsausgleich ermöglicht die Netzwerkeffekte, von denen im Zusammenhang mit Plattformen häufig gesprochen wird: je mehr Anbieter und Nachfrager auf der Plattform sind, desto mehr Informationen werden für die Parteien zugänglich gemacht und desto höher der durch die Plattform geschaffene Wert relativ zu alternativen Buchungsformen. Gäbe es nur zwei Anbieter und Nachfrager auf einer Plattform, könnte sich der Markt zwar ausgleichen, der Wettbewerbsvorteil der Plattform wäre aber begrenzt (z.B. Markt auch so überschaubar; keine Auswahl verschiedener Restauranttypen möglich). Je mehr Teilnehmer auf der Plattform aktiv sind, desto attraktiver wird diese als Ort des Austausches. Im Idealfall ist nach Erreichen einer kritischen Masse an Teilnehmern die Nutzung der Plattform für die teilnehmenden Parteien so attraktiv, dass ein Sog entsteht, der sich selbst verstärkt – die Plattform wächst exponentiell.

Dabei agieren die Plattformen anfangs häufig in einem Umfeld ohne echten Wettbewerb (siehe Abb. 1, linker oberer Quadrant), da sie Angebot und Nachfrage auf neue Art verknüpfen. So konnten Gäste zur Anfangszeit von OpenTable entweder über die Plattform einen Tisch buchen, oder die Restaurants telefonisch abklappern, aber es gab keine zweite Buchungswebseite. Durch diese Abwesenheit von Konkurrenz kann sich die Sogwirkung voll entfalten, weil keiner der Teilnehmer einen Anreiz hat, nicht auf der Plattform aktiv zu werden.

Plattform nach Typ, Wettbewerb und resultierende Werbeform
Abb. 1: Plattformtypen, Wettbewerb und resultierende Werbeform

Das Beispiel von Lieferplattformen zeigt aber, dass die Attraktivität dieser Sogwirkung auch Wettbewerbsreaktionen nach sich zieht (siehe Abb. 1, linker unterer Quadrant): so folgten nach Pizza.de, als erste Plattform für Lieferdienste in Deutschland, schnell weitere Anbieter wie Lieferando und zuletzt Lieferheld. Dadurch entsteht ein Wettbewerb unter den Betreibern der einzelnen Plattformen. Auf Marktdynamiken im Plattformgeschäft werde ich in meinem folgenden Diskussionsbeitrag, „Profitabilitätsrisiko Plattformen,“ eingehen.

Pipeline-Plattformen als großes Warenhaus

Sogenannte Pipeline-Plattformen steuern den Zugang zum Marktplatz. Dabei bringen diese „unechten“ Plattformen zwar auch Angebot und Nachfrage zusammen, kontrollieren dabei aber die Angebotsseite der Wertschöpfungskette. Es geht weniger darum, ein offener Ort des Austausches zu sein, als vielmehr darum, sich als der größte Verkaufskanal für einen bestimmten Produkt- oder Dienstleistungstyp zu etablieren („Go-to-Place“). Dieser Ansatz lässt sich daher eher mit dem eines Warenhauses im stationären Handel vergleichen, welches durch die Größe der Auswahl zu überzeugen sucht. Zwei Beispiele zeigen dies: Amazon Fresh möchte „ihren kompletten Einkauf“ ermöglichen, Zalando „Europas größte Auswahl an Fashion & Trends“ bieten. Zusätzliche Anbieter sind hier nur ein Weg zur Ausweitung des Angebots.

Treiber eines höheren Marketingaufwands auf Pipeline-Plattformen

Außerdem ergeben sich durch das Management der Angebotsseite zwei Unterschiede zu echten Plattformen, die den Marketingaufwand erhöhen:

(1) Geringere Netzwerkeffekte und Teilnehmersog: der durch Netzwerkeffekte ermöglichte Sog auf die Plattform dürfte geringer sein, da sich Angebot und Nachfrage nicht selbstständig anziehen und verstärken können, sondern die Plattformbetreiber das Angebot kontrollieren (z.B. die Unternehmen auswählen, die auf der Plattform anbieten; die verfügbaren Produkte festlegen). Dabei ist es nicht notwendigerweise im Interesse der Plattform, eine große Zahl von Anbietern zu haben. Die Profitabilität eines bestehenden Anbieters könnte zum Beispiel höher sein, als die zusätzlicher Anbieter, was aus Sicht der Plattformbetreiber eine Konzentration des Umsatzes auf den Anbieter mit hoher Profitabilität nahelegt.

(2) Bestehende Konkurrenz zum Zeitpunkt des Markteintritts: schwerer ins Gewicht fällt aber die bestehende Konkurrenz zum Zeitpunkt des Markteintritts. Einerseits konkurrieren die Pipeline-Plattformen direkt mit dem Angebot des Wettbewerbs. So können die auf Amazon Fresh oder Zalando verfügbaren Produkte auch bei anderen Internetanbietern bestellt werden. Daher dürfte für den Verbraucher kein Wettbewerbsvorteil wahrnehmbar sein und der Sog auf die Plattform ausbleiben. Anderseits könnten Wettbewerber strategisch agieren und die Teilnahme auf der Plattform verweigern, um deren Wachstum und Attraktivität zu bremsen. Warum sollten Lebensmittelhändler oder Textilvertikalisten die Attraktivität und das Wachstum der Konkurrenz noch fördern, indem sie das eigene Angebot auch für die Konkurrenz verfügbar machen?

Insgesamt dürfte die Sogwirkung auf den stärker als Pipeline geführten Unternehmen deutlich geringer ausfallen als auf echten Plattformen. Gleichzeitig stehen Pipelines häufiger im Wettbewerb zu einem bestehenden Angebot, gegen das sie sich in der Konsumentenwahrnehmung durchsetzen müssen – entweder durch tatsächliche Vorteile oder durch Marketing. Pipeline-Plattformen sind daher von Anfang an auf die Verdrängung des Wettbewerbs angewiesen, wie in Abb. 1 dargestellt.

Egal ob Pipeline oder nicht: langfristiger Wettbewerbsdruck

Langfristig könnte die Diskussion über die Benennung verschiedener Plattformmodelle aber müßig sein. Die beschriebenen Vorteile von „echten“ Plattformen betreffen hauptsächlich eine Anfangsphase, in der die Plattform als Marktpioniere agiert: in der Abwesenheit von direkter Konkurrenz könnte eine Sogwirkung durch den Informationsausgleich zwischen den Parteien entstehen, die ein schnelles Wachstum ermöglicht. Je nach Größe und Wachstum des Pionierunternehmens könnte es aber auch für andere Unternehmen interessant sein, eine Plattform im gleichen Bereich zu eröffnen. Auf die Wettbewerbsdynamik im Plattformgeschäft und die damit verbundene Auswirkungen auf die Profitabilität der Geschäftsmodelle möchte ich in meinem folgenden Beitrag, „Profitabilitätsrisiko Plattformen,“ eingehen.