Der „Russen­discounter“ Mere und die Politik von Angela Merkel

Das Medienecho war groß, die Schlangen lang, der Markt schon wieder dicht: letzte Woche eröffnete in Leipzig die erste Filiale von Mere in Deutschland. Was hat der Markteintritt des „Russendiscounters“ mit der Politik von Angela Merkel zu tun? Der folgende Beitrag wagt eine Hypothese.

Kein deutsches Leitmedium, welches letzte Woche nicht über die Herausforderung der deutschen Discounter durch die neue Konkurrenz aus Russland berichtet hätte. Der „Aldi-Klon aus Sibirien“ „macht Aldi und Lidl Konkurrenz“ – wohlgemerkt mit einer Filiale in einer Stadt. Wie kommt es aber dazu, dass sich für Mere in Deutschland Angriffsflächen bieten?

Der Russendiscounter Mere und die Politik von Angela Merkel

Aufwertung der Discounter

Fakt ist, dass sich die deutschen Discounter vom spröden Charme der 90er Jahre abgewendet haben: die Filialen wurden modernisiert oder an attraktiven innerstädtischen Standorten gleich neu eröffnet; das Sortiment wuchs – Artikel wie Avocados oder Marken wie Coca Cola gehören heute bei Aldi und Lidl zum Standard. Kurz: Discounter fühlen sich nicht mehr wie Discounter an. Aber warum kam es zu dieser Aufwertung der Discounter?

Diese Veränderungen in der Filialgestaltung und im Angebot beruhen einerseits auf sich veränderten Konsumgewohnheiten. Die Ansprüche sind gestiegen und viele Kunden erwarten heute beim Einkauf, alles aus einer Hand zu bekommen, auch im Discounter. Immer weniger Käuferinnen und Käufer sind bereit, den langen Weg bis auf die grüne Wiese am Stadtrand für Lebensmitteleinkäufe zurückzulegen. Andererseits hat die Aufwertung der Discounter aber auch strategische Gründe.

Fokus auf Mediankäufer als Strategie der Discounter

Denn im deutschen Handel herrscht ein Kampf um den Mediankäufer. Werten die Discounter auf, machen sie den klassischen Supermärkten Konkurrenz, ohne auf der absoluten Billigschiene von ebendiesen Konkurrenz fürchten zu müssen. Aldi und Co. haben sich also ein größeres Stück der Käuferverteilung abgeschnitten, indem sie Mediankäufer durch Aufwertung stärker ansprachen. Da es im unteren Preissegment keine Konkurrenz gab, konnten sie preisbewusste Käufer halten, da letztere nicht ausweichen konnten. Die Leidtragenden waren die Nicht-Discounter, da diese im hohen Preissegment „gefangen“ waren.

Dieser Fokus auf Mediankäufer erinnert an die Politik von Angela Merkel: durch die Ausrichtung der CDU zur Mitte wurde der Medianwähler stärker erreicht und der politische Gegner geschwächt. Analog zu Frau Merkels politischen Erfolgsjahren wuchs der Marktanteil der Discounter durch den Fokus auf Mediankäufer von 38% im Jahr 2003 auf heute ca. 43% (statista).

Diese händlerische Verschiebung zur Mitte birgt aber auch ein Risiko: eine offene Flanke am Rand der vorherigen Positionierung. Und hier setzt ökonomisch der Russendiscounter Mere an, wie politisch die sogenannte AfD. Mere will 20% unter den Preisen von Aldi und Lidl zu liegen. Der neue Händler macht also den Discountern am Rand ihres früheren Kerngeschäfts Konkurrenz. Denn durch die Aufwertung von Aldi und Lidl entstand hier eine Lücke, die der neue Discounter strategische zu nutzen sucht.

Erreichen könnte das Unternehmen diese Billigpreise durch die Anmietung von günstigen C-Immobilien am Stadtrand, ein spartanisches Ambiente mit Palettenverkauf und ein Restposten und Waren aus Polen und Tschechien fokussiertes Sortiment. Insgesamt erinnert alles (auch die langen Schlangen bei der Eröffnung), an die Einkaufsmöglichkeiten in der direkten Nachwendezeit.

Mere ein ernsthafter Herausforderer?

Kann Mere ein ernsthafter Herausforderer für etablierte Discounter werden? Wohl kaum. Erstens sind die 100 Zielfilialen im Vergleich zu den etablierten Discountern sehr wenig (z.B. mehr als 4000 bei Aldi, 3000 bei Lidl, …). Die Logistik und Prozesse dürften bei so wenigen Läden vermutlich unsystematisch und wenig effizient sein. Die vorübergehende Schließung der ersten Filiale wegen zu großer Nachfrage verdeutlicht dies. Die derzeitigen Expansionspläne beschränken sich auf die Stadt Zwickau – nicht direkt das Epizentrum des deutschen Konsums.

Zweitens haben sich die Kaufgewohnheiten nachhaltig geändert: die 90er Jahre sind vorbei und wenige Käufer werden bereit sein, für 8 Cent Ersparnis bei der H-Milch 15km an den Stadtrand zu pilgern. Drittens ist der Wettbewerb in deutschen Lebensmitteleinzelhandel sehr intensiv. Die Lebensmittelpreise sind relativ zum Einkommen die niedrigsten in Europa. Die Prozess- und Einkaufskompetenz der Discounter kann Mere vermutlich nur durch Restposten und Importe aus Osteuropa kontern – und mit diesen können Verbraucher nicht ihren gewohnten Einkauf tätigen.

Andererseits zeigt der Erfolg von Extremdiscounter wie Primark oder kik, dass vielen Käufern Qualität, Herkunft und Produktionsstandards egal sind, solange der Preis ausreichend niedrig ist. Auch muss ein substantieller Teil der Deutschen am Existenzminimum leben und für diese dürfte das neue Handelsformat besonders interessant sein.

Der Lebensmitteleinzelhandel bleibt also spannend. War der Pressewirbel um den Markteintritt von Mere berechtigt und sehen wir hier den Bezwinger der deutschen Discounter? Eher nicht. Aber ökonomische (und politische) Gegenspieler zu unterschätzen, hat sich in der Vergangenheit auch als gefährlich erwiesen.


Mehr zum Thema: Einschätzungen im zdf heute, bei der Welt (Printausgabe, 02.02.2019), bei mdr Umschau, mdr Sachsenspiegel, Leipzig Fernsehen.