Warum wir auf dem Weihnachts­markt Ramsch kaufen

Zündkerzen aus Schokolade, extragroße Holzlöffel und kratzige Wollsocken. Warum wird auf dem Weihnachtsmarkt so viel Ramsch angeboten – und warum kaufen wir ihn auch noch? Ein nicht ganz ernst gemeinter Erklärungsversuch.

Der Weihnachtsmarkt als Verkaufsort des Erstaunlichen

Ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt bringt Erstaunliches zu Tage. Neben den obligatorischen Glühwein-, Wurst- und Süßigkeitenständen findet sich allerlei Besonderes. Wofür schlägt ihr Herz? Ein stark duftendes Stück Holz in Form einer Aubergine, eine Schneeprinzessin aus original chinesischem Porzellanimitat oder etwas Liebreizendes aus Filz?

Und wie können Händler dieser Waren überleben? Auch auf dem Weihnachtsmarkt sollten die Gesetze von Angebot und Nachfrage gelten. Die Standmiete ist sicher hoch. Wie kann es also sein, dass mündige Konsumentinnen und Konsumenten, die vor dem Kauf eines Adapterkabels sonst 20 Bewertungen und die neusten Produkttests lesen, hier ungesehen mitnehmen? Warum schlagen Pfennigfuchser, die auf der Suche nach günstiger Butter durch alle Supermärkte ihrer Stadt streifen, hier direkt zu?

Sechs nicht ernst gemeinte Erklärungen, frei von jeder konsumpsychologischen Fundierung.

(1) Trunkenheit schwächt die Abwehrkräfte

Die einfachste Erklärung könnte im Nebeneffekt der meisten Weihnachtsmarktbesuche liegen: Trunkenheit. Den für Viele geht es bei aller vorweihnachtlichen Atmosphäre in erster Linie um den Konsum von Glühwein, gern auch mit Schuss. Und nach dem fünften Tranke, da sitzt die Geldbörse locker. Die sonst so strengen Budgetrestriktionen fallen, man gibt sich den Verlockungen scheinbarer Handwerkskunst hin, die durch die angeheiterte Brille gleichzeitig deutlich attraktiver wirkt – eine fatale Mischung. „Wäre es nicht lustig, Klaus einen Riesenlöffel mitzubringen?“ Kurz: Trunkenheit schwächt die Abwehrkräfte und führt zum Kauf von vormals Unkaufbarem.

(2) Grabbeltischverhalten im Gedränge

Wer kennt ihn nicht, den Kampf um die knappen Sonderangebote am Grabbeltisch? Unsere niederen Instinkte als Jäger und Sammler treten hervor, wenn wir um den Einkauf streiten. Und vielleicht löst der Weihnachtsmarkt genau das in uns aus. Denn das unmenschliche Gedränge zwischen den Ständen fühlt sich an wie beim SSV in den 1990er Jahren, als Massen durch die sich öffnenden Türen der Warenhäuser drängten. Ähnlich wie beim Schlussverkauf lebt auch der Weihnachtsmarkt von der zeitlichen Befristung – denn viele der tollen Angebote gibt es „nur hier und nur für kurze Zeit“. Möglicherweise machen wir also einfach Jagd, auch wenn es nichts zu jagen gibt, und greifen zum Erstbesten, damit es nicht den anderen Besuchern zufällt.

Weihnachtsmarkt Leipzig
Bild: Weihnachtsmarkt Leipzig (Foto: Erik Maier)

(3) Kauf nach Ladenschluss

Jeder von uns war schon einmal spät dran mit dem Kauf der Weihnachtsgeschenke. Und was tun, wenn alle Läden geschlossen sind? Klar – der Weihnachtsmarkt! Hier gibt es keinen Ladenschluss um 20 Uhr und über Sonntagsöffnungsverbot am 23. Dezember und PrimeNow lacht man nur. Gut, inwiefern sich der zu Beschenkende über ein Duftholz in Auberginenform freut, ist offen. Aber immerhin steht man nicht mit leeren Händen da. Und was sind die Alternativen? Eine Flasche lauwarmer Sekt von der Tankstelle oder noch ein Gutschein aus dem Internet. Da gewinnt jeder Filzpantoffel an Format!

(4) Das Sein bestimmt das Bewusstsein

Marxistische Lehren sind lange außer Mode, aber kann es sein, dass ausgerechnet auf dem Weihnachtsmarkt das Sein tatsächlich das Bewusstsein bestimmt? Vielleicht führt das Vorhandensein bestimmter Produktangebote dazu, dass die Menschen nicht mehr frei über ihre Bedürfnisse entscheiden können. Ähnlich wie bei einem Eisstand im Sommer, an dem wir nicht vorbei können, obwohl wir gerade erst drei Kugeln Schoko gegessen haben. So könnte die Möglichkeit, kratzige Filzsocken zu kaufen, auch zu deren Kauf führen, weil wir unsere tatsächlichen Konsummöglichkeiten nicht erkennen und frei realisieren. Können wir uns der Unterjochung durch das Überangebot an Nutzlosem also nur entledigen, indem wir es per Plan abschaffen? Stände ohne Waren, zwei Stunden Schlangestehen für Glühwein und Bratwurst nur als Bückware. Vielleicht ist der vorweihnachtliche Kauf von Nutzlosem aber auch unser Opium, welches wir freudig konsumieren, um den stressigen Alltag vor dem Fest zu bestreiten. Ob fremd- oder selbstverschuldet, eine Revolution der Weihnachtsmärkte will sicher niemand.

(5) Stärkung des Emotionalen

Man muss kein Nobelpreisträger zu sein, um zu wissen, dass wir einige Entscheidungen rational treffen und andere schnell und aus dem Bauch heraus. Soziale und emotionale Einflüsse manipulieren uns. Und wann, wenn nicht in der Vorweihnachtszeit, sind wir für Emotionales empfänglich? Und wenn der Einkauf auf dem Weihnachtsmarkt „einfach dazu gehört“, warum denn nicht? Nachhaltiger ist es sicher, dem örtlichen Schreiner Geld für noch einen hölzernen Weihnachtsstern zu geben, als jedes Jahr das neuste Mobiltelefon zu kaufen. Das ist zwar keine Erklärung, aber falsch ist es trotzdem nicht.

(6) „Ich schenke eh immer für 20€“

Ein Grund, warum der Einkauf auf dem Weihnachtsmarkt besonders verwundert, sind die Preise. Denn die sind hoch. Vergleichen Konsumenten sonst penibel die Preise auf der Suche nach Schnäppchen, scheint dieser Reflex auf dem Weihnachtsmarkt außer Kraft. Noch eben eine Tasse für 20€ — kein Problem! Möglicherweise reagieren wir hier aber auch nur wie auf Preiserhöhungen an der Tankstelle: „Preiserhöhung? Mir egal, ich schenke eh immer für 20€“. Oder die eben gezahlte Runde Glühwein, inklusive horrendem Tassenpfand, hat einen saftigen Referenzpreis gesetzt, nach dem alles so günstig erscheint, wie nach einem Skiurlaub in der Schweiz.

Die Hoffnung: auf der Suche nach Besonderem

Sie sehen also, die Gemengelage ist kompliziert. Viele von uns haben sicher schon einmal auf dem Weihnachtsmarkt gekauft – egal ob Ramsch oder nicht – und können für sich beantworten, warum. Ich zum Beispiel dieses Jahr zum ersten Mal ein Geschenk: eine spezielle Keramikdose, denn es gab sie nur dort. Und so kommen wir zur vielleicht schönsten möglichen Erklärung: als Geschenk suchen wir das Besondere für den oder die Beschenkte. Und wenn das eben eine Zündkerze aus Schokolade ist, dann umso besser. In diesem Sinne: einen angenehmen Weihnachtsmarktbesuch und heitere Vorweihnachtszeit wünscht Ihnen

Erik Maier