Wie funktionieren Attributions­modelle?

Wie im letzten Beitrag dargestellt, helfen uns Attributionsmodelle, die im Onlinehandel entstehenden Umsätze auf einzelne Werbekanäle aufzuteilen. Dies ist relevant, da mittels Aufteilung der Umsätze die Marketingkostenquote für einzelne Werbekanäle berechnet werden kann, was Unternehmen wiederum bei der Verteilung ihrer Werbemittel hilft. Für diesen Vorgang wird eine Vereinfachungslogik benötigt – das Attributionsmodell. Warum ist diese Aufteilung so kompliziert, dass Händler der Vereinfachung bedürfen? Was gibt es für Attributionsmodelle? Und warum kann man Kaufprozess im Internet mit einem anarchischen Restaurantbesuch vergleichen? Darüber informiert dieser Beitrag.

Auch zum Thema Attributionsmodelle:
Teil 1: Was sind Attributionsmodelle?
Teil 2 (dieser Beitrag): Wie funktionieren Attributionsmodelle?
Teil 3: Was sind die Risiken von Attributionsmodellen?

Beispiel 1: Attribution im stationären Handel

Um besser verstehen zu können, warum wir im Onlinehandel Attributionsmodelle benötigen, lohnt ein Blick in den traditionellen Handel (siehe auch Abb. 1). Im stationären Handel besteht teils die gleiche Herausforderung wie online: in einem Ladengeschäft interessiert Händler, welcher Mitarbeiter welchen Anteil am Umsatz hat. So wird in größeren Geschäften mit mehreren Mitarbeitern häufig per Eingabe an der Kasse erfasst, wer am Verkauf beteiligt war. Händler können diese Informationen beispielsweise nutzen, um ihren Mitarbeitern Anreize zu setzen (z.B. umsatzabhängiger Bonus) oder die Verteilung der Mitarbeiter zu verändern (z.B. besonders erfolgreiche Mitarbeiterin in einem renditeträchtigen Bereichen einzusetzen). Eine Aufschlüsselung der Umsätze ist besonders häufig bei beratungsintensiven Produkten der Fall, da hier die Mitarbeiter einen entscheidenden Anteil am Verkaufsabschluss („Conversion“) haben.

Überblick über Verschiedene Möglichkeiten zur Aufteilung von Umsätzen
Abb. 1: Überblick über Verschiedene Möglichkeiten zur Aufteilung von Umsätzen

Es geht also darum, den Umsatzbeitrag am Erfolg Beteiligter (hier: Mitarbeiter) zu messen. Die Logik der Aufteilung der Umsätze ist im stationären Handel meist einfach, da es realistisch ist anzunehmen, dass eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter für den Verkaufsprozess hauptsächlich verantwortlich war. Diese Information wird von Hand eingegeben (z.B. an der Kasse). Dann wird der gesamte Umsatz dieser Person zugerechnet.

Beispiel 2: Aufteilung von Trinkgeld im Restaurant

Ein weiteres Beispiel löst die Grundannahme der Einzelverantwortlichkeit auf: die Aufteilung von Trinkgeld im Restaurant. An jedem Restaurantbesuch ist, je nach kulturellem Kontext, eine mehr oder minder große Anzahl von Personen beteiligt. In einem extremen Fall (z.B. in einem amerikanischen Restaurant) werden die Gäste durch eine Einweiserin (Person 1) einem Platz zugewiesen, geben danach beim Garderobier ihre Mäntel ab (Person 2), werden durch einen Kellner bedient (Person 3), erhalten von der Barkeeperin zubereitete Getränke (Person 4) und werden von verschiedenen Küchenmitarbeitern mit Speisen versorgt (Person 5), bevor sie zahlen (Person 3), ihre Mäntel holen (Person 2) und das Restaurant verlassen. Alle diese Mitarbeiter sind – wenn auch mit unterschiedlichem Anteil – am Erfolg des Besuches und am damit verbundenen Trinkgeld beteiligt. Deshalb geht in vielen Restaurants das Trinkgeld nicht vollständig an den oder die Kellnerin, sondern es wird unter allen Beteiligten aufgeteilt.

Zwei Merkmale sind für die spätere Betrachtung besonders wichtig: Erstens, der Ablauf eines Restaurantbesuches ist in der Regel gleichbleibend, da vermutlich kein Gast den Restaurantbesuch mit dem Abholen des eigenen Mantels beginnt. Daher lassen sich, zweitens, jeder Gruppe von Beteiligten feste Umsatz- oder Trinkgeldanteile zuweisen, je nachdem, welcher Erfolgsanteil vermutet wird (z.B., Kellnerin 50%, Küche 30%, Bar und Garderobe 10%).

Online-Kaufvorgänge als anarchischer Restaurantbesuch

Auch im Onlinehandel gibt es eine Vielzahl von Umsatzbeteiligten: die Marketingkanäle, die zur Gewinnung von Kunden und zur Begleitung von deren Kaufprozess dienen. Denn die Mehrzahl der Kunden kauft nicht nach einem gezielten Besuch eines Onlinehändlers, dessen Webseitenadresse sie vorher in den Browser eingegeben haben. Realistischer ist, dass Kaufinteressierte ein spezifisches Ziel haben (z.B. den Kauf eines neuen Fernsehers), aber dieses auf unterschiedlichen Wegen verfolgen. So können Interessenten zum Beispiel Suchmaschinen befragen und durch Klick auf (bezahlte) Links verschiedene Händlerseiten besuchen, später auf eine Bannerwerbung aufmerksam werden, auf die sie klicken und erneut einen Händler besuchen, um dann zu einem späteren Zeitpunkt durch ein gesetztes Lesezeichen oder eine gezielte Suche des Händlernamens zurückzukehren und zu kaufen.

Dieses Beispiel verdeutlicht die hohe Anzahl beteiligter Marketingkanäle (Suchmaschinenmarketing SEA, Bannerwerbung bzw. Retargeting, Direktaufruf bzw. erneute Suchmaschinenanfrage). Zwar sind auch weitere Unternehmensbereiche beteiligt (z.B. Webseitenoptimierung oder die IT-Infrastruktur), der Beitrag von Attributionsmodellen liegt aber in der Aufteilung der Umsätze zwischen den Werbekanälen.

Im Gegensatz zum vorherigen Beispiel, laufen Onlinekaufvorgänge aber als anarchischer Restaurantbesuch ab, da jeder Kaufinteressierte andere Werbekanäle nutzt und deren Reihenfolge auch noch zwischen den Interessierten variiert. So sucht beispielsweise Person A nur bei Google, um dann beim ersten besuchten Händler direkt zu kaufen, während Person B zuerst auf ein Angebot durch ein Banner aufmerksam wird, dann Preise auf einer Vergleichsplattform überprüft, um dann zu kaufen. Wäre der Online-Kaufprozess ein Restaurantbesuch, würden manche Nutzer nur ihren Mantel holen, während andere nur bezahlten, ohne überhaupt zu speisen (dafür aber vergessen, ihren Mantel abzuholen) und wieder andere erst äßen, um sich danach einen Tisch zuweisen zu lassen. Diese Beispiele klingen absurd, verdeutlichen aber die scheinbare Anarchie der Kaufprozesse.

Kaufprozesse mit verschiedenen Werbekanälen
Abb. 2: Kaufprozesse mit verschiedenen Werbekanälen im Onlinehandel (illustrativ)

Zwar ist es so, dass bestimmte Kombinationen von Werbekanälen häufiger vorkommen (in Abb. 2 zum Beispiel Banner – SEA – Direktaufruf), aber die Anzahl der Kombinationsmöglichkeiten (und auch der tatsächlichen Kombinationen der Nutzer) ist grenzenlos. Zusätzlich zur Reihenfolge variiert auch die Anzahl der beteiligten Verkaufskanäle (in unserem Beispiel zwischen zwei und fünf). Bei echten Onlinehändlern übersteigt die beobachtete Anzahl der verschiedenen Kaufprozesse („Paths to Conversion“ im Google-Jargon) häufig Hunderttausend. Diese Verschiedenheit der Verkaufsprozesse macht eine flexiblere Logik zur Aufschlüsselung der Umsätze nötig, als im stationären Handel oder im Restaurant.

Positionsbasierte Attributionsmodelle als Standardlösung

Attributionsmodelle nutzen deshalb die Position des Werbekanals als Grundlage für die Aufteilung der Umsätze (siehe Abb. 3, für eine sehr gute englischsprachige Darstellung empfiehlt sich auch Avinash Kaushiks Blog). Voraussetzung für die Aufteilung ist der Kaufabschluss, die sogenannte „Conversion“. Die so entstandenen Umsätze werden in verschiedenen möglichen Modellen verteilt.

So kann beispielsweise der gesamte Umsatz dem letzten am Kaufprozess beteiligten Werbekanal zugerechnet werden („Last Click“ / letzter Click). Dies kann damit begründet werden, dass dieser Werbekanal für den Kaufabschluss maßgeblich verantwortlich ist, und somit den größten Anteil am Umsatz „verdient“. Eine Abwandlung dieses Modells ist das sogenannte „Last non-direct“-Modell, welches die Verkaufsprozesse um die Direkteingaben bereinigt. In der ersten und dritten Zeile von Abb. 2 sieht man, dass ein Teil der Verkaufsprozesse mit einer Direkteingabe der Webseite endet (z.B. über ein Lesezeichen). Da diese Direkteingaben für die zu optimierende Zielgröße (d.h. die Marketingbudgets) nicht relevant ist, wird dieser Werbekanal einfach übergangen.

verschiedene Attributionsmodelle
Abb. 3: fünf geläufige Attributionsmodelle

Andere Attributionsmodelle beziehen Werbekanäle auf mehreren Positionen ein. So werden bei der lineareren Attribution die Umsätze gleichmäßig auf alle beteiligten Werbekanäle verteilt (z.B. je 20% im Fall von fünf beteiligten Werbekanälen, siehe Abb. 3 in der 3. Spalte). Einer ähnlichen Vorgehensweise folgt die zeitbezogene Attribution, bei der weiter in der Vergangenheit liegende Kontaktpunkte zu Werbekanälen einen immer geringeren Umsatzanteil zugerechnet bekommen.

Einen Bezug zum klassischen Marketing-Trichter (Bekanntheit – Vertrautheit – Auswahl-Set – Kauf – Loyalität) nimmt die sogenannte „40-20-40“-Attribution. Im Marketing-Trichter sind die Kundengewinnung und der Kaufabschluss aus dem Auswahl-Set die wichtigsten Schritte, auf die sich das Marketing konzentrieren sollte (vgl. auch folgende Zusammenfassung des traditionellen Trichters von McKinsey). Daher erscheint es sinnvoll, diese Positionen besonders stark zu gewichten: mit jeweils 40% des Umsatzes, im Vergleich zu nur 20% für alle dazwischen liegenden Werbekanäle zusammen. In der Praxis wird dieses Attributionsmodell häufig verwendet, da es verschiedene Zielgrößen (Kundengewinnung und „Conversion“) vereint.

Auswahl des Attributionsmodells und weitere Entscheidungen

Am Ende muss sich ein Unternehmen aber zwischen den verschiedenen Attributionsmodellen entscheiden (z.B. 100% auf den letzten Werbekanal) — vermutlich auf Basis einer unterschiedlichen Begründung (z.B. Wichtigkeit des Kaufabschlusses beim „Last Click“). Mit dem gewählten Attributionsmodell werden dann die Umsätze auf die Werbekanäle verteilt und letztere mittels kanalspezifischer Werbekostenquoten verglichen. Hierbei können die erzielten Umsätze (und somit die wahrgenommene Effizienz) der einzelnen Werbekanäle je nach Attributionsmodell stark variieren. Außerdem können neben der Auswahl des Attributionsmodells noch weitere Entscheidungen getroffen werden (z.B. die „lookback period“ oder Dauer, mit der in der Vergangenheit nach Kontaktpunkten gesucht wird – zählen nur Kontakte in der letzten 14 Tagen, oder für 70 Tage?; die minimale Verweildauer auf der Webseite, um als Kontakt zu zählen).

Credo: durch Unternehmen gestaltete Vereinfachungslogik

Die hier dargestellten Attributionsmodelle sind daher nur gebräuchlichsten Beispiele von zahlreichen, auch unternehmensspezifischen, Varianten. Zusammen mit den zusätzlichen Gestaltungsmerkmalen ergibt sich eine große Vielfalt von Möglichkeiten, wie Umsätze aufgeteilt werden können. Mit der Wahl des Attributionsmodells entscheidet sich ein Unternehmen also für eine von verschiedenen Vereinfachungslogiken, die zwar alle auf der Position des Werbekanals im Verkaufsprozess beruhen, aber je nach Umsatzaufteilung unterschiedliche Ergebnisse liefern. Nur durch diese positionsbasierte Aufteilung kann der nicht mehr lineare, sondern anarchische Restaurantbesuche – oder Kaufprozess – von Kunden analytisch beherrscht werden. Auf Basis der attribuierten Umsätze werden dann Effizienzmaße berechnet, Budgets neu verteilt und Marketingpartner bezahlt.


Nach der Definition von Attributionsmodellen im letzten Beitrag, und der Erklärung der Funktionsweise in diesem, erläutert der Folgebeitrag die Risiken von Attributionsmodellen. Wie hängen Marketing-Trichter, Verkaufskanalposition und das Ergebnis des Attributionsmodells zusammen? Welche Möglichkeiten und Risiken bringen Attributionsmodelle mit sich? Warum sprechen wir von einer Scheinrealität der Attribution? Fragen, deren Beantwortung Sie hoffentlich wieder interessieren wird.