Ladesäulen im Handel – Retten Discounter die Mobilitätswende?

Retten Discounter die Mobilitätswende und unterstützen aktiv die Anstrengungen gegen den Klimawandel oder ist es rein geschäftliches Interesse, wenn zum Beispiel Lidl und IKEA große Ausbauziele für Ladestationen ankündigen oder teilweise bereits umgesetzt haben? Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über die derzeitige Entwicklung von Ladesäulen im Handel und diskutiert die wirtschaftliche Motivation.

Umstieg auf Elektromobilität ist unausweichlich

Auch wenn die Zulassungszahlen seit einiger Zeit jeden Monat zweistellig steigen, wird es noch einige Zeit dauern, bis Neuwagen einen größeren Anteil an den Neuzulassungen erreichen (monatliche Zulassungszahlen finden sich beim Kraftfahrt-Bundesamt). Für eine mittelfristig starke Beschleunigung der Zulassungszahlen gibt es zwei Hauptgründe: das Pariser Klimaabkommen und der chinesische Automarkt. Erstens, um seine Klimaziele zu erfüllen, wird Deutschland nicht um einen deutlich erhöhten Anteil von Elektroautos an den Neuzulassungen herumkommen. Zweitens, bereits vor 10 Jahren hat China die USA als größter Automarkt der Welt abgelöst. Zusätzlich wird das prognostizierte Wachstum der Neuzulassungen stark auf dem chinesischen Markt stattfinden. Und genau in China wurde das batteriebetriebene Elektroauto als Lösung festgelegt, mit Subventionen unterstützt und Hersteller von Autos mit Verbrennungsmotoren werden mit Strafen belegt. Aus effizienzgründen werden die neuen Automodelle (vor allem der deutschen Autohersteller, die den Großteil ihrer Gewinne in China erwirtschaften) sich nach dem chinesischen Leitmarkt richten und auch in Deutschland das Angebot an Elektroautos erhöhen. Daher ist mittelfristig der Umstieg auf Elektromobilität unausweichlich.

Ladeplätze werden knapp

Sollte sich das prognostizierte exponentielle Wachstum jedoch auf den Straßen widerspiegeln, wird es nicht nur im Stau, sondern auch vor den öffentlichen Ladestationen eng. Tesla arbeitete hier als Pionier für seine eigenen Kunden vor und baut bereits seit sieben Jahren ein engmaschiges Netz aus sogenannten Supercharger (Februar 2019: 12.888 Anschlüsse) und Destination Charger (Februar 2019: 19.200 Anschlüsse) rund um die Welt auf. Die deutschen Autobauer dagegen versuchen mit einem gezielten Kraftaufwand wenigstens 400 Schnellladestationen mit jeweils mehreren Anschlüssen an europäischen Autobahnen bis 2020 hochzuziehen – der Status kann hier live verfolgt werden. Nach dem Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) wird es in Deutschland Ende März 17.400 Ladestationen geben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass jede dieser Ladestationen mehrere Ladepunkte hat. Rein rechnerisch dürften die 83.000 reinen Stromer (Zulassungszahl Ende 2018) kein Problem haben, eine Ladeoption zu finden. Wenn jedoch besagtes exponentielles Wachstum die Zahlen auf sieben bis zehn Millionen Fahrzeuge erhöht, werden die Ladeplätze knapp. Die vorhandenen Infrastruktur könnte krachend zusammenbrechen. Es verwundert daher nicht, dass neben Energiekonzernen, Hotels und Autobauern nun auch Einzelhändler vom Geschäft mit dem Ladestrom profitieren wollen.

Discounter preschen mit Ladeankündigungen voran

Die Anzahl von Ladesäulen im Handel steigt, wenn auch auf noch geringem Niveau. Es ist spannend zu beobachten, wie vor allem Händler mit eher preissensitiver Kundschaft (Discounter) Druck auf die etablierte Konkurrenz machen. Allen voran die Schwarz Gruppe mit Kaufland und Lidl hat sich bis Ende 2020 ein ambitioniertes Ziel gesetzt, wie in Abb. 1 dargestellt. Hier sollen bei Lidl nicht nur alle neuen Filialen mit Ladesäulen ausgestattet, sondern bestehende so modernisiert und umgerüstet werden, dass nie mehr als 50km zwischen zwei Lidl-Lade-Filialen liegen. Ferner ist es wichtig zu betonen, dass der Strom, der zum Laden zur Verfügung gestellt wird, aus erneuerbaren Energien stammt. Aldi Süd geht in diesem Punkt noch weiter und verspricht Strom up aus der jeweiligen filialeigenen Photovoltaikanlage.

Abb. 1: Anzahl angekündigter Ladesäulen im Handel in Deutschland bis Ende 2020

Faktoren, die finanziellen Mehrwert versprechen

Außer Rewe, die zum Laden mit externen Partnern zusammenarbeiten, ist das Laden bei den erwähnten Händlern zumindest während der Öffnungszeiten kostenlos. Wenn aber mit dem Ladevorgang kein Geld verdient werden kann, wie können sich diese immensen Investitionen  in die Ladeinfrastruktur lohnen? Es lassen sich drei mittelbare Faktoren identifizieren, die einen finanziellen Mehrwert für die Händler darstellen.

1) Positives Image

Als ökologische Alternative zum Verbrennungsmotor wird E-Mobilität als eine der Kerntechnologien angesehen und insbesondere in den Leitmärkten der Automobilwirtschaft fokussiert. China ist hier das beste Beispiel. Das Aufstellen von Ladesäulen zeigt somit die Zukunftsgewandtheit der handelnden Unternehmen. Ladesäulen könnten für ein positives Image sorgen.

Vor allem für Kaufland, Lidl und Aldi könnte sich der Aufbau des Ladenetzes als ruffördernd auszahlen, da diese Händler ggf. Konsumenten erreichen, die bisher keine Discountkunden waren. Der rasche Ausbau der neuen Technologie ist auch vor dem Hintergrund erstaunlich, dass vor wenigen Jahren das Zahlen per Kreditkarte in ebendiesen Discounter aufgrund von Kartengebühren und fehlenden Lesegeräten an der Kasse nicht möglich war.

2) Längere Verweildauer

Bekanntermaßen lädt ein Elektroauto nicht so schnell wie ein Verbrenner betankt werden kann. Zusätzlich verbauen die Händler nicht die schnellsten Ladesäulen (diese sind mittlerweile in der Lage beachtliche Mengen Strom in kürzester Zeit in den Akku zu laden: 400km in weniger als 20 Minuten, Ecomento). Da sich durch die E-Mobilität Tanken und Einkaufen parallelisieren lassen, bleibt netto mehr Zeit um durch die Gänge laufen und den Warenkorb ggf. etwas mehr zu füllen als ursprünglich angenommen.

Nehmen wir als Beispiel einen Ehemann, nennen wir ihn Tom, der sich mit einem Verbrenner vornimmt, nach der Arbeit kurz ein paar Einkäufe zu erledigen. Auf der Fahrt zum Discounter bemerkt Tom, dass er noch Tanken muss. Er nimmt sich vor, beide Tätigkeiten in 45 Minuten durchzuführen. Der Einfachheit halber befindet sich die Tankstelle im gleichen Einkaufszentrum wie der Lebensmittelhändler. Für das Tanken und kurze Umparken zum Händler braucht unser Mann 15 Minuten. Es bleiben also weitere 30 Minuten für den Einkauf. Der gleiche Mann ersetzt seinen Verbrenner mit einem Elektroauto. Es ist klar, dass nun die Fahrt zur Tankstelle entfällt und das Auto eher wie ein zweites Smartphone immer ans Netz gehangen wird, sobald eine Ladesäule in der Nähe ist. Das Auto mit der Ladesäule zu verkabeln dauert keine zwei Minuten und anstatt der 30 Minuten bleiben nun 42 Minuten zum Einkaufen.

Es gibt aktuell keine Analysen, wie genau sich das Einkaufsverhalten ändert, aber es liegt die Vermutung sehr nah, dass das kostenlose Laden durch längere Verweildauer und das damit einhergebenden höhere Einkaufsvolumen gegenfinanziert werden kann.

3) Höhere Einkaufsfrequenz

Kommen wir zurück zu Tom. Kritiker mögen einwenden, dass Tom nicht bei jedem Einkauf tanken fahren muss, da Verbrenner (noch) eine wesentlich höhere Reichweite haben und sich dies vor allem für kleine Wagen auf absehbare Zeit schwer ändern lässt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Elektroauto-Fahrer ihr Verhalten grundlegend ändern und die Tätigkeit „Tanken fahren“ komplett hinfällig wird – kurzes Elektroladen wird zum Standard, wann immer sich ein Fahrzeug nicht bewegt. Die Entwicklung wird hier vergleichbar zu Smartphones verlaufen: alte Handys hielten teilweise wochenlang durch, bevor sie geladen werden mussten; bei einem aktuellen Smartphone ist man noch sehr froh, wenn man einen ganzen Tag ohne Laden durchsteht. Unser Verhalten hat sich dahingegen geändert, dass wir überall kurz Laden und mithin erwarten, auch überall kurz Laden zu können. Neben Zug, Bus oder Einkaufszentrum finden sich USB Anschlüsse zum Laden mittlerweile in Möbeln, Restaurants und Kaffees. Die Tatsache, dass Händler zu den Ersten gehören, die diese Infrastruktur aufbauen und den Strom kostenlos zur Verfügung stellen, und so Konsumenten beginnen durch eine höhere Anzahl von Filialbesuche, ihr Budget von einem Händler zum anderen zu verschieben.

Kein Gewinn ohne Risiken

Wie jedes Investment unterliegt auch die Investition in eine Ladeinfrastruktur neben politischen auch weiteren Risiken.

1) Komplexes Business Model

Durch die kostenlose Abgabe von Strom und den ausschließlichen Betrieb der Säulen während der Ladenöffnungszeiten ist es schwer, die Ladesäulen aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu unterstützen. Nimmt man an, dass im Schnitt beide Ladepunkte einer Ladesäulen die Hälfte der Zeit belegt ist, müsste sich der durchschnittliche Bon des Elektroautofahrers durch die Effekte positives Image, längere Verweildauer und höhere Frequenz von 20 Euro auf 40 Euro verdoppeln, um die laufenden Kosten (30 Cent pro kWh und maximal 22 kW Leistung pro Ladepunkt) und Abschreibung (7400 Euro netto auf 5 Jahre) zu refinanzieren. Anders ausgedrückt, kostet der Ladevorgang bei einem 30-minütigen Supermarktbesuch circa 3,50 Euro, wie Abb. 2 darstellt. Um diese zusätzlichen Kosten zu denken, müsste bei einer durchschnittlichen Marge von 20% sich der durchschnittliche 20 Euro Einkaufswert also nahezu verdoppeln. Das Angebot des kostenlosen Stroms hat in der aktuellen Situation also vor allem Vorteile für die Verbraucher.

Kosten und Umsatz Ladesäulen
Abb. 2: Kosten und nötiges Gewinnpotential Ladesäulen im Handel

2) Teure Nischentechnologie

Ohne auf zu viele technische Details einzugehen, sollte bedacht werden, dass es neben der reinen batteriebetriebenen Elektromobilität weitere Technologien gibt, die durch wenig/keine Emission einen positiven Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten können. Sollten diese alternativen Technologien dem batteriebetriebenen Elektroauto den Rang ablaufen, kann es passieren, dass die Ladesäulen auf den Parkplätzen der Händler auch in Zukunft selten genutzt werden und sich die Investition im Nachhinein als teure PR-Maßnahme herausstellt. Hier sei zum einen die Brennstoffzelle angeführt. Es gibt bereits Serienautos mit Brennstoffzelle wie den Toyota Mirai und auch ein erstes Netz mit 66 Wasserstofftankstellen in Deutschland (BR). Der große Vorteil liegt in der hohen Reichweite mit bis zu 700km. Der größte Nachteil ist der selbst im Vergleich zu Elektroautos extrem hohe Preis (UVP Mirai: 78.600 €).

3) Negatives Preis-Image

Neben den oben erwähnten positiven Imagegewinnen kann die medienwirksame Ankündigung und der sehr sichtbare Ausbau von Ladesäulen das Preis-Image eines Händlers nach oben treiben und dadurch preissensitive Kunden abschrecken. Ähnliche Bedenken bestanden bereits zu dem architektonischen Umbau von Discountern – damals fand die Wissenschaft, dass sich das Preis-Image zwar leicht erhöht, dieser Effekt durch höhere Einkaufsbereitschaft aber mehr als kompensiert wird.

Ladesäulen im Handel – Ausblick und Alternativen

Trotz der aufgegriffenen Risiken sehe ich eine große Chance für Händler durch den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Zum einen sollte es zu starken Preissenkungen bei der Infrastruktur kommen, sodass der weitere Ausbau wesentlich preiswerter werden kann – hier sei auf die Photovoltaikanlagen verwiesen, die ihre Kosten innerhalb von 10 Jahren um 2/3 senken konnten. Zum anderen könnten Händler zukünftig auch als „Stromhändler“ auftreten und die Infrastruktur gegen Gebühr außerhalb der eigenen Öffnungszeiten zur Verfügung stellen.

Darüber hinaus treffen die Unternehmen durch den Aufbau von Ladesäulen im Handel den Zeitgeist und beweisen eine sinnstiftende Zukunftsgewandtheit.


Joe Boden

Der Autor, Joe Boden, ist Unternehmensberater bei McKinsey & Company mit den Schwerpunkten Digitalisierung und Handel. Er promoviert derzeit an der HHL Leipzig Graduate School of Management zum Thema Zahlungsmittel im Handel. Auf dem Handels.blog schrieb er bereits zu mobile Payment im Handel.