Marken in Zeiten des Mehrkanal­handels

Die Struktur des Handels hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Sowohl auf der Vertriebs- als auch auf der Werbeseite besteht eine größere Vielfalt der Mittel, wodurch sich das Kräfteverhältnis zwischen den teilnehmenden Akteuren verschiebt – dies hat Auswirkungen auf bestehende und neue Marken. Unter den Stichworten „Komplexität“ und „Vielfalt“ lassen sich fünf strukturelle Veränderungen verdeutlichen, die die Markenführung beeinflussen.

5 Veränderungen die die Markenführung beeinflussen

  1. Zusätzliche Verkaufskanäle: dass digitale Vertriebskanäle im Online- und Mobilbereich heute eine wichtige Rolle neben dem stationären Handel spielen, ist keine Neuigkeit. Die Auswrkungen auf den deutschen Handel wurden auch in diesem Blog schon thematisiert (hier). Wichtig sind aber die Konsequenzen dieser Entwicklung für Marken. Denn die Digitalisierung des Handels ermöglicht es, Konsumenten ohne räumliche Beschränkung anzusprechen, was zumindest prinzipiell größere Absatzmöglichkeiten bietet, da die Nachfrage nicht auf ein Gebiet beschränkt ist. Gleichzeitig benötigen digitale Vertriebsmodelle anfänglich niedrigeren Investitionen in die Vertriebsinfrastruktur (z.B. nur ein Zentrallager, keine Vielzahl von einzelnen Filialen) und versprechen niedrigere laufende Kosten (z.B. keine Miete, weniger Personal). Vertriebsplattformen und Marktplätze, wie der von Amazon, bieten kleineren Händlern und Produzenten zusätzliche Möglichkeiten, Verbraucher ohne Fixkosten zu erreichen. Außerdem verstärken sich bereits länger etablierte Trends, wie der Direktvertrieb der Hersteller über vertikal integrierte Händler (z.B. große Onlineshops von Markenherstellern wie Adidas). Es bestehen daher zusätzliche Verkaufskanäle mit niedrigeren Vertriebskosten (zumindest wenn man Werbung und Retourkosten ausklammert).
     
  2. Zusätzliche Anbieter und Marken: durch dieses Vorhandensein eines überregionalen Marktes und die Senkung der Vertriebskosten ist es heute mehr Herstellern und Händlern möglich, Konsumenten anzusprechen, als zu Zeiten des rein stationären Handels. Auf der Produzentenseite zeigen Beispiele wie der Hype um den Matratzenhersteller Casper oder die schnelle Internationalisierung von Marken wie Ivy Park, der Kollektion der Sängerin Beyoncé, die Zugänglichkeit des Marktes. Zusätzlich bauen E-Commerce-Unternehmen sich als eigene Marken auf (z.B. AboutYou, Mr Spex oder rebuy) oder führen neue Eigenmarken ein (z.B. Home24 mit zahlreichen Eigenmarken von Ars Natura bis Skøp). Gleichzeitig bieten immer mehr kleinere Produzenten und sogar Privatpersonen Produkte über Marktplätze bekannter Händler an. Zwar beschränken sich diese Marktplätze, wie etwa Dawanda, derzeit noch auf Produkte im Bereich Mode und Wohnen – prinzipiell sollte die Vielfalt der Anbieter aber auch in anderen Branchen zunehmen. Dies führt insgesamt zu einer Vielfalt der angebotenen Marken. Das Beispiel der USA, wo in den letzten zwei Dekaden jährlich 5% mehr Marken neu registiert wurden (siehe Abb. 1), verdeutlicht diese Entwicklung.
     
    Anzahl der neuen Marken
    Abb. 1: Anzahl der neu registrierten Marken („Trademarks“) in den USA, Quelle: US Patent and Trademark Office, Annual Report 2016
  3. Zweiseitige Kundenbeziehung: durch die größere Auswahl an Anbietern und Produkten ist es für Konsumenten heute leicht, zu anderen Händlern oder Marken auszuweichen, da die Konsumenten nicht mehr an das Angebot in ihrer Umgebung gebunden sind. Zusätzlich bieten digitale Kommunikationsmedien die Möglichkeit, Bewertungen und Kritik mit großer Reichweite auszutauschen (Stichwort: „Word of Mouth“). Händler und Markenhersteller müssen die Beziehungen zu den nun mündigeren Konsumentinnen daher gezielt steuern.
     
  4. Neue Werbewege: außer den zusätzlichen Vertriebskanälen bestehen auch neue Möglichkeiten zur Kundengewinnung (siehe Abb. 2). Einerseits bietet Onlinemarketing zusätzliche Werbeplätze (z.B. Displays) und Möglichkeiten zur gezielten Ansprache (z.B. Suchmaschinenwerbung, Retargeting), andererseits koppeln soziale Medien Inhalte mit Werbung (z.B. „Influencer“ auf Youtube oder Blogs). Klassische Werbemöglichkeiten bleiben dabei weiter bestehen (z.B. TV-Werbung) oder werden aufgewertet (z.B. Offline-Targeting über Postwurfsendungen).
     
    Werbewege im Onlinemarketing und analogen Bereich
    Abb. 2: Werbewege im Onlinemarketing und analogen Bereich
  5. Neue Türhüter: in der Vielfalt des Angebots (Verkaufskanäle, Händler, Herstellermarken, Konsumentenäußerung und Werbewege) bedürfen Konsumenten der Vereinfachung durch Suchmaschinen. Kontrollierten früher die Händler durch ihre physische Präsenz den Zugang zum Angebot der Hersteller, so lenken heute Suchmaschinen die Kundenströme. Da das Angebot der einzelnen Händler für Konsumenten häufig nicht durch einfachen Suchkriterien unterscheidbar ist, konkurrieren alle Anbieter um die gleichen Kundenströme – das gilt sowohl für die Suche nach allgemeinen Begriffen (z.B. Jeans), als auch für spezifische Produkte, die mehrere Händler im Angebot haben (z.B. Levis 501). In diesem Wettbewerb müssen Händler dafür bezahlen, durch Konsumenten wahrgenommen zu werden (z.B. für ein gutes Ranking im Suchergebnis). Selbst stationäre Händler werden mittlerweile häufig zuerst elektronisch gesucht, zum Beispiel auf Google Maps, um Öffnungszeiten zu erfahren. In diesem Zusammenhang versuche vor allem Onlinehändler sich über Größe und Bekanntheit zum ersten Anlaufpunkt für eine Produktkategorie zu machen („Go-to-place“), was häufig mit hohen Investition in den Markenaufbau einhergeht.
     

Auswirkungen für Marken

All diese Veränderungen stellen eine Herausforderung für etablierte Marken dar. Der durch den leichteren Marktzugang ermöglichte Eintritt von neuen Marken macht es für bestehende schwieriger, sich von der Konkurrenz abzugrenzen. Gleichzeitig versuchen neue Händler und Herstellermarken, sich durch starke Anfangsinvestitionen im Markt zu etablieren, um dann in einem zweiten Schritt die Bekanntheit zur Absenkung der Marketingkosten zu nutzen. Der Archetyp dieses Wachstumsansatzes ist der Modehändler Zalando, dessen heutige Profitabilität erst durch eine Senkung der relativen Werbeausgaben auf ein Drittel des Ursprungswertes ermöglicht wurde, die mit 10% des Umsatzes aber immer noch hoch liegen.

Bei aller Veränderung ist die Grundmaxime des modernen Marketings, wonach der Erfolg am Markt von der Wertschöpfung am Kunden abhängt, aber noch immer aktuell. Dabei ist Orientierung der Mehrwert, den etablierte Marken ihren potentiellen Käufern am leichtesten bieten können. Und das Bedürfnis der Kunden nach Orientierung mittels Marke dürfte in Zeiten größerer Markenvielfalt wachsen: Informationsvereinfachung und Risikominimierung waren schon vor dem physischen Verkaufsregal wichtige Funktionen einer Marke, und werden vor der Unbegrenztheit der digitalen Warenauslage eher noch wichtiger. Aggressive Werbung, wie sie häufig von neuen Marken betrieben wird, kann – egal ob online oder offline – den immateriellen Markenwert zwar kurzfristig erhöhen, aber nur kostspielig halten.

Orientierungsfunktion als Vorteil von Marken im komplexen Umfeld

Daher sollten etablierte Händler und Herstellermarken ihr bestehendes Markenprofil im Sinne einer Orientierungsfunktion der Marke schärfen. Drei Bestandteile der Orientierungsfunktion stellen für Konsumenten Mehrwerte dar (siehe Abb. 3): Informationseffizienz, Risikoreduktion und Selbstausdruck. Für die Darstellung der Marke entlang dieser Vorteile stehen Produzenten und Händlern heute zahlreiche Mittel zur Verfügung (siehe oben, z.B. Verkaufs- und Werbekanäle). Maxime sollte aber nicht ein „viele Werbekanäle helfen viel“, sondern ein abgestimmtes Vorgehen über die Kanäle sein, die dem Zielsegment am meisten bei der Orientierung helfen. Nur über eine koordinierte und somit einheitliche Kommunikation zum Kunden lässt sich der Wert der Marke nutzen und ihre Versprechen von der Konkurrenz abgrenzen.

Bestandteile der Orientierungsfunktion der Marke
Abb. 3: Bestandteile der Orientierungsfunktion der Marke

Bekannte Marken sind häufig auch etabliert am Markt und sollten daher über die Mittel für ein derart koordiniertes Vorgehen verfügen. Im Gegensatz zu neuen Marken, die ihren Markenwert erst kostspielig aufbauen müssen, verfügen etablierte Marken bereits über eine hohen Markenwert, der sich nur bei Untätigkeit abbaut, und sollten daher Mittel für anderweitige Investitionen zur Verfügung haben. Eine Schärfung des Markenprofils sollte jedoch nicht ein starres Markenbild und Beharrung auf althergebrachte Kommunikationsmittel bedeuten. Dass die einheitliche Nutzung der vielfältigeren Vertriebs- und Kommunikationswege kein Wunderwerk ist, sondern nur mit Nachdruck betrieben werden muss, zeigen Unternehmen wie Douglas, das seinen Onlineanteil zuletzt deutlich steigern konnten, die Otto-Gruppe, die sich über den Aufbau von internen E-Commerce-Alternativen profiliert oder dm-drogerie markt, das stark auf einen einheitlichen Markenaufbau über soziale Medien und Werbekanäle setzt.

Die Rolle der Marke bleibt auch in Zeiten des Mehrkanalhandels für Konsumgüter zentral. In einem komplexeren Umfeld bieten besonders etablierte Marken Orientierung. Vor der Herausforderung neuer Marken sollten etablierte sich aber nicht ausruhen, sondern ihr Profil mit den jetzt vielfältigeren Mitteln schärfen und kontinuierlich weiterentwickeln.