Von Car-Sharing bis Streaming – was früher als Produkt gekauft wurde, ist heute häufig eine Dienstleistung. Der folgende Beitrag erläutert, was der Übergang vom Produkt zur Dienstleistung für Auswirkungen auf den Handel hat. Zusammengefasst: Nicht die „Verdienstleistung“ von Produkten gefährdet den Handel, sondern die damit einhergehende Gefahr des Verlustes des Kundenzugangs.
Dominanz der Dienstleistungen
Der Handel funktioniert traditionell als Schnittstelle zwischen den Erzeugern und Nachfragern von Produkten: durch Zugang zu beiden ermöglicht er den Austausch zwischen ihnen. Durch die Digitalisierung werden aber immer mehr Produkte in Dienstleistungen umgewandelt: Textverarbeitungsprogramme verkaufen sich nicht mehr als verpackte CD, sondern liegen in der Cloud, CDs und DVDs werden durch Streamingdienste ersetzt und selbst Autos werden immer häufiger nicht verkauft, sondern als Carsharing per App gemietet. Und dies beinhaltet noch nicht Anwendungen des Internets der Dinge, wie etwa Fahrstuhldienste in Gebäuden (Kone). In diesem Zusammenhang spricht man auch von der „Dominanz der Dienstleistungen“ (Englisch „service dominant logic“), die beschreibt, dass Kunden vor allem Lösungen (z.B. individueller Transport von A nach B; Loch in der Wand), und nicht notwendigerweise die zugehörigen Produkte (z.B. Auto oder Bohrmaschine) wünschen. Kommt also der Handel in Zukunft durch einen Mangel an Handelbarem zum Erliegen?
Risiko der Umgehung der Schnittstellenfunktion des Handels
Nein, denn die Schnittstellenfunktion des Handels ist unabhängig vom Objekt des Austausches, und die gehandelten Objekte haben sich schon immer verändert. Wer erinnert sich heute zum Beispiel noch daran, dass Salz oder Tulpen in früheren Jahrhunderten bedeutende Handelsgüter waren, die ganze Städte ernährten – wie zum Beispiel das an der Salzstraße gelegene Leipzig? Daher sollte dem Handel nicht bange vor einer „Verdienstleistung“ der Produkte sein, denn Dienstleistungen stellen nur ein anderes Austauschobjekt dar. Marktplätze wie Airbnb oder MyHammer handeln – nur nicht mit Waren, sondern mit Dienstleistungen.
Die eigentliche Herausforderung des Wandels vom Produkt zur Dienstleistung besteht darin, dass Dienstleister den Handel häufig nicht als Schnittstelle benötigen, da die Anbieter direkt mit dem Kunden in Verbindung treten. Durch Apps (z.B. Netflix), Cloud-Lösungen (z.B. Microsoft Office 365) oder E-Book-Reader (z.B. Amazon Kindle) bleibt der Handel zunehmend außen vor. Der Direktvertrieb elektronischer Dienstleistungen ist somit die Weiterentwicklung der vertikalen Integration über Flagship-Stores, da für diese neue Vertriebsform noch nicht einmal mehr physische Strukturen benötig werden. Um direkt vertreiben zu können, benötigen die Anbieter von Dienstleistungen aber den Zugang zu den Kunden. Das Risiko der Umgehung der Schnittstellenfunktion des Handels und der damit verbundene Verlust dieses Zugangs ist das Hauptproblem für den Handel, und nicht die „Verdienstleistung“ als solche. Und Beispiele wie die Verlust des Marktdominanz der Zahlfunktion „Alipay“ des chinesischen Großkonzerns Alibaba an Konkurrenten Tencent haben gezeigt, wie wichtig der direkte Zugang zu den Kunden sein kann (vgl. vorheriger Beitrag).
Dienstleistungen um den Kundenzugang zu sichern
Ein Wettbewerbsvorteil erwächst für Händler oder Produzenten also aus dem Zugang zu den Kunden. Früher wählten Händler daher exponierte Verkaufsorte, wie die Innenstadt, um diesen Zugang herzustellen. Heute integrieren Händler Dienstleistungen um den Kundenzugang zu sichern: Amazon Prime ist im Wesentlichen ein subventioniertes Dienstleistungspaket (Lieferung, Video- und Musik-Streaming, Cloud-Speicher, …), welches die Handelstätigkeit des Konzern durch stärkere Kundenbindung stützt (vgl. Forrester). Zalando integriert Dienstleistungen, die früher in der Wertschöpfungskette liegen, wie etwa Teile der Kaufabwicklung vom Produzenten (z.B. über das Partnerprogramm). Auch alteingesessene Warenhäuser stellen heute immer mehr das Kauferlebnis als Dienstleistung in den Vorder- und den Warenaustausch in den Hintergrund. Paradoxerweise könnte also eine Hinwendung des Handels zu Dienstleistungen diesen davor bewahren, den Kundenzugang an vertikal integrierte Dienstleister zu verlieren.
Sowohl positive als auch negative Aussichten für kleinere Händler
Nun ist aber nicht jeder Händler ein billiardenschweres Unternehmen wie Amazon. Und es gibt daher durch den Wandel vom Produkt zur Dienstleistung sowohl positive als auch negative Aussichten für kleinere Händler. Einerseits werden bestimmte Produkte als solche immer weniger gehandelt werden, was heutige Läden in diesen Bereichen bedroht. So ist die Wiederauferstehung der LP zwar kulturell und kaufmännisch erfreulich, aber vermutlich nur ein Requiem auf den Handel mit Musik. Ob die Präferenz der Kunden für den Besitzt des Physischen bei Produkten wie Büchern, Zeitung oder Autos stärker ist, als deren elektronische Bequemlichkeit, bleibt noch abzuwarten. Andererseits leben Händler auch als Dienstleister gut: Baumärkte vermieten Bohrmaschinen, Elektronikhändler Fernseher und Radläden Elektroräder. Wie lange sich kleinere Händler allerdings dagegen wehren können, dass große Konzerne versuchen, ihnen den Kundenzugang abzugraben, wird auch davon abhängen, wie gut diese Händler Kunden binden und ihnen helfen können, die Unübersichtlichkeit des digitalen Angebotes zu navigieren.
Credo: Gefahr durch Verlust des Kundenzugangs, nicht durch den Übergang vom Produkt zur Dienstleistung
Kurz: nicht der Übergang vom Produkt zur Dienstleistung ist eine Gefahr für Händler, sondern ein Verlust des Kundenzugangs. Und um diesen zu behaupten, müssen sich kleine wie große Händler bewegen und immer neu begründen, warum gerade sie das Vertrauen der Kunden verdient haben. Auf diesem Weg kann nicht eine Abwendung von Dienstleistungen, sondern nur eine Hinwendung zielführend sein.