Amazon Prime als Mittel zur Kunden­bindung

Amazon Prime wird häufig als Dolchstoß für den Einzelhandel beschrieben, da auch kleine Bestellungen quasi gratis und sofort geliefert werden. Viel wichtiger ist aber eines: Amazon Prime als Mittel zur Kundenbindung. Der folgende Beitrag erläutert warum.

Amazon Prime im Überblick

Amazon Prime gibt es seit 2007. Der Service beinhaltet sowohl eine Gratisexpresslieferung, als auch zahlreiche weitere Dienstleistungen wie Video- und Musik-Streaming oder Speicherplatz. Der Preis steigerte sich kontinuierlich und liegt jetzt bei 69€ jährlich. Derzeit nutzen geschätzt 17 Millionen Deutsche den Dienst (20% der Bevölkerung), in den USA sind es bereits 100 Millionen (30%). Gern wird Amazon Prime als „Angriff auf…“ beschrieben – „den Lebensmittelhandel“, die „deutsche Modewelt“, oder gar auf „unsere Autonomie“. Aus Marketingsicht ist Prime weniger ein direkter Angriff auf die Konkurrenz, sondern eher ein Mittel zur Kundenbindung. Und so sieht es auch Amazon.

Amazon Prime als Mittel zur Kundenbindung

Amazon zu Amazon Prime

Analysiert man, was Amazon zu Amazon Prime sagt, so wird offensichtlich, dass es dem Unternehmen mit Prime nicht darum geht, mit einer Dienstleistung Geld zu verdienen. Auch der direkte Angriff auf die Konkurrenz steht nicht im Vordergrund. Vielmehr stellt Amazon seinen Service Prime in seinem Jahresberichten sogar selber als Kundenbindungsmittel dar.

  • Grundlegend argumentiert das Unternehmen natürlich über die Wertschöpfung am Konsumenten: „We want Prime to be such a good value, you’d be irresponsible not to be a member.“ Explizit heißt das natürlich, dass Prime ein gutes Angebot sein soll. Implizit wird aber schon hier deutlich, dass es um mehr als schnelle und kostenfreie Lieferung geht, sondern andere Wertschöpfungskomponenten eine Rolle spielen.
  • Gleichzeitig wird deutlich, dass Prime nur als Marketingwerkzeug genutzt wird — die Kosten dafür werden z.B. auf das Marketingbudget angerechnet und auf die Warenverkäufe umgelegt: „While costs associated with Amazon Prime memberships and other shipping offers are not included in marketing expense, we view these offers as effective worldwide marketing tools, and intend to continue offering them indefinitely. […] Amazon Prime membership fees are allocated between product sales and service sales and amortized over the life of the membership according to the estimated delivery of services.“
  • Besonders die Zusatzleistungen (z.B. Video) sollen zur Bindung an den Service und an Amazon führen: „Prime members who watch Prime Video are more likely to convert from a free trial to a paid membership, and more likely to renew their annual subscriptions.“

Steigerung der Intensität und Länge der Kundenbeziehung

Hier wird deutlich, dass es Amazon also vor allem darum geht, Prime als Marketingwerkzeug — genauer: Kundenbeziehungsmanagementwerkzeug — zu nutzen. Durch Prime soll es zu einer Steigerung der Intensität und Länge der Kundenbeziehung kommen. Die meisten Unternehmen folgen heute einem beziehungsorientierten Ansatz im Kundenverhältnis. Das heißt sie optimieren nicht pro Transaktion, sondern versuchen, den Lebenszeitwert der Kundenbeziehung (Englisch „Customer Lifetime Value“) zu maximieren. Hierfür kommt der Loyalitätssteigerung, im Handel also der Kaufhäufigkeit und -intensität, eine entscheidende Bedeutung zu.

Wo „klassisches“ Kundenbeziehungsmanagement auf Aktivitäten wie E-Mail-Kommunikation, Loyalitätsprogramme oder Sonderaktionen setzt, geht Amazon einen zusätzlichen Weg: ein attraktives (d.h. wertschöpfendes) Abo-Modell, welches die Kunden dazu bringt, sich loyaler zu verhalten. Amazon ergänzt also die klassischen „Push“-Formate (z.B. Newsletter) um ein „Push-&-Pull“ (Prime wird in den Markt gedrückt und löst dann Loyalität aus). Die Frage ist: wie? Hierzu können wir aus Konsumentensicht vier Erklärungen bemühen:

(1) Wertschöpfung

Durch Prime schafft Amazon Werte beim Konsumenten. Schnelle und kostenfreie Lieferung stellen einen Vorteil dar – auch wenn man jährlich dafür bezahlt. Gleichzeitig erhöhen Videos und andere Dienstleistung den wahrgenommenen Wert des Angebots. Ohne den Preis des Prime-Angebotes direkt bewerten zu wollen, legt ein Vergleich mit dem Nur-Streaming-Anbieter Netflix (mindestens 96€ pro Jahr) nahe, dass die zahlreichen Wertkomponenten von Prime in Summe kein schlechtes Angebot sind. Dadurch wird das Prime-Angebot als solches attraktiv, auch für Konsumenten die prinzipiell vielleicht nicht so viel bestellen, sondern lieber Streamen. Dadurch erhöht sich die Abonnentenquote und mehr Kunden werden ans Unternehmen gebunden (siehe auch Punkt 4).

Gleichzeitig darf man die Wertschöpfung bei der Bestellung nicht außer Acht lassen. Schnelle und (zumindest ohne die Abokosten) kostenfreie Lieferung führt dazu, dass die Angebote Amazons in jedem Bestellvorgang relativ zur Konkurrenz als attraktiver wahrgenommen werden. Dies ist auch der Grund, der in der Diskussion zu Prime am häufigsten genannt wird.

(2) Fixkostendegression

Viel interessanter sind aber weitere Gründe, durch die Prime zu einer Kundenbindung führt. Besonders stark dürft hier die Fixkostendegression wirken: da die Kosten für Prime durch das Abomodell im Voraus gezahlt werden, kann ich diese durch häufiges Bestellen sozusagen abschreiben. Eigentlich spielt das vornehmlich bei Gütern mit hohen Investitionskosten (z.B. Entwicklungskosten) ein Rolle, wirkt aber hier auch aus Konsumentensicht. Die Kosten von Prime sind fix und werden so auf immer mehr Bestellungen verteilt. Durch diese mentale Buchführung könnten Konsumten sich also freiwillig stärker an Amazon binden, um die relativen Kosten von Prime pro Bestellung zu senken.

(3) Erwartungssteigerung

Durch die Angebote von Prime kommt es auch zu einer Erwartungssteigerung bei Konsumenten. Haben diese sich zum Beispiel an schnelle Lieferung gewöhnt, erscheinen „normale“ Angebote anderer Händler weniger attraktiv. Einerseits könnte dies dazu führen, dass Konsumten seltener bei anderen Händlern kaufen und häufiger bei Amazon. Andererseits könnte eine Wettbewerbssituation entstehen, die zu einen Überbietungswettlauf („Race to the Top“) führt. In der Textilbranche sehen wir bereits Versuche schneller Gratislieferung (Beispiel Zalando), aber auch der stationäre Buchhandel versucht, Kunden durch schnelle Lieferung zu überzeugen (siehe vorhergehender Handels.blog-Beitrag). Dies könnte dazu führen, dass einige Händler sich überfordern und möglicherweise aus dem Markt ausscheiden. Sowohl Erwartungssteigerung als auch Marktausdünnung dürft zu einer erhöhten Loyalität für Amazon führen.

(4) Häufigere Kontaktpunkte

Da Konsumten durch das breite Serviceangebot von Prime häufiger mit Amazon interagieren (z.B. beim Schauen eines Videos), kommt es zum sogenannten Verfügbarkeitseffekt („availability effect„). Häufigere Kontaktpunkte steigern die Wahrscheinlichkeit, dass man (a) mit Unternehmenswerbung in Kontakt kommt (z.B. „Prime Day“), (b) sich mit dem Unternehmen verbunden fühlt, oder (c) einfach gerade etwas braucht und sich direkt beschafft. Die Zusatzdienstleistungen, wie Video oder Musik, könnten also nicht nur dazu dienen, das Angebot attraktiver zu machen. Sondern sie könnten auch helfen, Kundinnen und Kunden in immer neuen Situationen mit dem Unternehmen in Kontakt zu bringen.

Effekt von Prime

Auch wenn wir die Profitabilität von Amazon Prime nicht bewerten können, steht außer Frage, dass Amazon mit Prime Erfolg in der Kundenbindung hat. Nicht nur wachsen die Nutzerzahlen stark, sondern auch das Kaufverhalten ändert sich: so funktioniert Amazon Prime als Mittel zur Kundenbindung. Schätzungen gehen davon aus, dass Prime Mitglieder circa doppelt so viel ausgeben, wie Nicht-Mitglieder (siehe Abb. 1, Consumer Intelligence Research Partners, aggregiert durch Statista). Auch die Bestellhäufigkeit liegt in den U.S.A. bei Prime-Mitgliedern ungefähr doppelt so hoch (24 vs. 13). Dies zeigt den Erfolg als Werkzeug des Kundenbeziehungsmanagements.

Amazon-Bestellvolumen von Prime- und Nicht-Prime-Mitgliedern
Abb. 1: Jährliches Amazon-Bestellvolumen von Prime- und Nicht-Prime-Mitgliedern in den USA, in U.S. Dollar

Natürlich hinken diese Vergleiche, da sie die Kausalität außer Acht lassen: Viele Prime-Mitglieder buchen nur deshalb den Service , weil sie viel bestellen und Prime so lohnender ist. Dies verzerrt den Vergleich durch eine sogenannte Selbstselektion besonders attraktiver Käufersegmente ins Abo. So könnte also nicht nur Prime für die Bestellhäufigkeit verantwortlich, sondern auch die Selbstauswahl der Konsumenten. Dem entegen spricht aber die kontinuierliche Zunahme von Mitgliedern in besonders attraktiven Segmenten: in den USA stieg auch die Anzahl wohlhabender Konsumten (die vermutlich mehr bestellen) in den letzten Jahren deutlich an, wie eine Studie zeigt. Der Effekt von Prime ist also nicht nur eine Selbstselektion (in 2017 waren 82% der wohlhabenden Amerikaner Prime-Mitglied, aber nur 52% der Menschen mit niedrigerem Einkommen), sondern scheint auch innerhalb dieser Gruppen zu greifen.

Ausblick: noch mehr Kundenbindung mit Prime

Es ist zu erwarten, dass Amazon die Kundenbindung mit Prime noch ausbauen wird. Hier könnte Amazon weitere Angebote schaffen, um Prime-Mitglieder in zusätzlichen Lebenslagen mit dem eigenen Angebot in Kontakt zu bringen und so die Nutzungsintensität weiter zu steigern. Gleichzeitig könnten Zusatzangebote den Wertschöpfung steigern. Hierfür gibt es einige Beispiele:

  • Der physische Amazon-Buchladen richtet sich vornehmlich an Prime-Mitglieder — diese bekommen vergünstigte Preise. Hier spielt wieder der Verfügbarkeitseffekt (hier: stationär) für die Kundenbindung eine Rolle.
  • Alexa/Echo, Amazons sprachgesteuerte virtueller Assistent, eignet sich zum Kaufen besonders für Prime-Kunden, da nur für diese in jedem Fall keine Versandkosten anfallen.
  • Amazon Fresh wurde in Deutschland rabattiert für Prime-Mitglieder angeboten.
  • Auch die AmazonGo-Läden bevorzugen Prime-Mitglieder, da zum Bezahlen eine Integration mit der Amazon-App nötig ist (die Prime-Mitglieder häufiger haben).

Keine Indikation gibt es dagegen bisher dafür, dass Amazon die Daten der Prime-Nutzer gezielter auswertet und nutzt, als die der anderen Nutzer. Allgemein scheint das Unternehmen in Sachen Personalisierung des Angebotes dem eigenen Ruf als Datenkrake hinterherzuhinken.

Dieser Beitrag sieht Prime als erfolgreiches Mittel des Kundenbeziehungsmangements. Es wird interessant zu beobachten sein, ob auch andere große Händler versuchen werden, ähnliche Angebote zu schaffen.