B2B-Onlinehandel: Ein unbekannter Riese?

Nach dem extrem starken Wachstum der Corona-Jahre sinken die Umsätze im Onlinehandel in vielen Branchen. Doch der Fokus der öffentlichen Diskussion liegt meist nur auf dem Endkundengeschäft, mit bekannten Unternehmen von Amazon bis Zalando. Was passiert aber im weit weniger bekannten B2B-Onlinehandel?

Omnichannel als neue Realität

Nicht erst seit der Covid-Pandemie ist der Onlinehandel nicht mehr wegzudenken. In vielen Produktgruppen werden online zweistellige Umsatzanteile erwirtschaftet – andere Transaktionen sind fast vollständig ins Digitale gewandert. Unter dem Stichwort „Omnichannel“ betreiben Händler heute im Regelfall ein Netzwerk aus mehreren Verkaufskanälen, die sie immer stärker miteinander verknüpfen.

Dementsprechend ist der Onlinehandel auch medial ein viel besprochenes Thema. Wenn große Händler ihre Umsatzprognosen reduzieren, wie kürzlich etwa Amazon oder Zalando, sieht man das Ende des „Booms“ kommen (Handelsblatt). Auch der Fokus des Handels.blogs lag bisher auf dem B2C-Markt. Das Interesse ist verständlich, denn viele Konsumierende kennen oder nutzen große Onlinehändler wie Otto, Zalando oder Amazon. Doch hinter diesen „B2C“-Endkundenmarken gibt es einen größeren und womöglich attraktiveren Markt: den B2B-Onlinehandel. Deshalb widmet der Handels.blog dem B2B-Onlinehandel eine Serie von Beiträgen.

Was ist B2B-Onlinehandel?

Bevor man die Bedeutung des B2B-Onlinehandels einschätzen kann, müssen zunächst verschiedene Begrifflichkeiten und Abkürzungen voneinander abgegrenzt werden:

  • B2B, B2C und C2C: „B2B“ steht für „Business to Business”, d.h. den Waren- und Dienstleistungsaustausch zwischen Unternehmen. Dies grenzt sich ab von „klassischen“ B2C-E-Commerce, d.h. den Transaktionen zwischen Unternehmen und Endkunden. Handeln nur Endkunden untereinander, bezeichnet man dies als „C2C“, d.h. „Consumer to Consumer“.
  • B2B-E-Commerce vs. B2B-Onlinehandel: „B2B-E-Commerce“ ist ein Sammelbegriff für verschiedene Formen digitaler Transaktionen zwischen Unternehmen. Drei Transaktionsformen sind hierbei besonders relevant:
    • Ein großer Teil aller digitalen B2B-Transaktionen findet direkt über elektronische Schnittstellen statt, über die Anbieter und Nachfrage fest verbunden sind. So können etwa Anfragen im Bereich der Logistik direkt verarbeitet werden.
    • Ein weiterer großer Teil des Umsatzes wird über digitalisierte Formen traditioneller Vertriebswege erzielt, wie etwa Videokonferenzen (statt persönlicher Treffen) oder E-Mails (anstelle Fax).
    • Ein dritter und erheblicher Teil des Umsatzes entsteht über verschiedene Formen des Onlinehandels, wie etwa B2B-Online-Shops oder B2B-Marktplätze. Hierbei handelt es sich um die B2B-Version des uns vertrauten Onlinehandels—teils sogar durch die gleichen Händler. Im B2C-Geschäft werden „E-Commerce“ und „Onlinehandel“ häufig synonym gebraucht – im B2B-Bereich ist nach unserer Definition der „B2B-Onlinehandel“ aber eine Untermenge des „B2B-E-Commerce“. Auf den B2B-Onlinehandel konzentriert sich dieser Beitrag. 
  • Offene & geschlossene Webshops, Marktplätze: Innerhalb des B2B-Onlinehandels unterscheidet man wiederum verschiedene Handelsformen. So ist es im B2B-Internethandel durchaus üblich, Webshops nicht frei zugänglich zu machen, sondern nur für bestimmte Unternehmen zu öffnen. Marktplätze wiederum sind, ähnlich wie Plattformen, für Anbieter und Nachfrager mehr oder weniger frei zugänglich.

Vergleich von B2B- und B2C-Onlinehandel

Doch ist B2B-Onlinehandel für Unternehmen überhaupt relevant? Um ein Gefühl für die Dimensionen zu bekommen, lohnt sich ein Vergleich von B2B- und B2C-Onlinehandel hinsichtlich der dort erzielten Umsätze (siehe Abb. 1): Wurde im B2C-Onlinehandel in Deutschland im Jahr 2021 ein Umsatz von circa 87 Mrd. Euro erzielt (HDE), so wird der B2B-Onlinehandel im selben Jahr auf 352 Mrd. Euro geschätzt (ECC). Im B2B-Onlinehandel werden also grob die vierfachen Umsätze erzielt, als im viel beschriebenen B2C-Geschäft. Hintergrund ist, dass der gesamte B2B-Handel (d.h. unabhängig vom Verkaufskanal) deutlich größer ist, als das B2C-Geschäft, da vor einem Endprodukt häufig mehrere B2B-Transaktionen stehen (Destatis).

Auch wachsen die Umsätze im B2B-Bereich deutlich schneller als im B2C-Bereich. Wertet man Umsatzschätzungen der letzten Jahre aus, zeigt der B2B-Bereich 50% höhere Wachstumsraten (jährlich 25% vs. 14% im Zeitraum 2016-2021). Während im B2C-Bereich nach dem starken Wachstum der Corona-Jahre und der derzeitigen allgemeinen Konsumzurückhaltung langsam eine Sättigung einzutreten scheint, zeigt der B2B-Onlinehandel auch in der Prognose deutlich höhere Wachstumszahlen. Expertenschätzungen gehen hier von bis zu 20% jährlich im B2B-Onlinehandel aus, während der B2C-Onlinehandel prognostiziert nur um circa 10% wächst. 

Entwicklung: B2C- und B2B-Onlinehandel

Abb. 1: Umsatzentwicklung im deutschen Onlinehandel
Quellen: Wachstumsraten eigene Berechnung auf Basis von Sekundärdaten (B2C: HDE, B2B: ECC),  Umsatzprognosen eigene Schätzung auf Basis von Industrieschätzungen (B2C: Statista und B2B: Grandviewresearch).

Gründe für die positive Entwicklung

Gründe für die positive Entwicklung des B2B-Onlinehandels gibt es mehrere. Ein wichtiger Faktor ist sicherlich die Digitalisierung der Geschäftsprozesse in vielen Unternehmen. Selbst im deutschen Mittelstand ist die Digitalisierung keine Drohkulisse mehr, sondern wird zur Erreichung von Wettbewerbsvorteilen genutzt, wie verschiedene Studien zeigen (z.B. Innovativer Mittelstand 2025). So gehört der digitale Einkauf für viele Unternehmen heute zum Standard (vgl., Zukunftsland Sachsen – Digitalisierung im sächsischen Mittelstand). Durch die Corona-Pandemie dürfte sich der Trend zu digitalen Transaktionen noch verstärkt haben. Ein weiterer Faktor dürfte die Ausstrahlungswirkung des privaten Konsums sein: Wer im Privaten gewohnt ist, online einzukaufen, dürfte dies auch im beruflichen Kontext als normal erachten. Deshalb bevorzugen heute schon die meisten Einkäufer den E-Commerce (vgl. McKinsey). Aber auch die Angebotsseite tut ihr Übriges. So bieten immer mehr früher auf B2C spezialisierte Unternehmen jetzt auch eigene B2B-Shops an (z.B. Home24). Schon heute hat die Mehrheit der Anbieter E-Commerce-Fähigkeiten (vgl. McKinsey).

Merkmale des B2B-Onlinehandels

Welche Merkmale des B2B-Onlinehandels sind für Betreiber von B2B-Onlineshops relevant? Einige Entwicklungen folgen im B2B-Bereich zeitverzögert dem Vorbild des B2C-Handels. Verschiedene Studien haben die Merkmale des B2B-Onlinehandel beleuchtet. Dabei zeigen sich, meiner Auffassung nach, vier wichtige Merkmale:

  • Viele kleine Warenkörbe und wenige große: Auch wenn die Warenkörbe im B2B-Bereich größer sind als im B2C und die Bereitschaft zur Buchung auch großer Warenkörbe (>500.000€) im B2B-Bereich steigt (vgl. McKinsey), dürfte die Verteilung der Transaktionen immer noch stark linkslastig sein. Das bedeutet es gibt viele kleine Warenkörbe und wenige große – die dafür aber einen erheblichen Umsatzanteil ausmachen. In „klassischen“ B2B-Onlineshops, etwa für Büro- oder Handwerkerbedarf dürften die kleinen Warenkörbe überwiegen. Sehr große Warenkörbe werden eher nicht über den B2B-Onlinehandel in Shops und Marktplätzen abgeschlossen, sondern eher über Schnittstellen oder andere digitale Interaktionsformate (z.B. elektronische Verhandlungen oder Auktionen). Die kleinen Warenkörbe bedeuten, dass Händler Mittel finden müssen, um Zahlungen effizient abzuwickeln. Viele B2B-Händler bieten daher bereits heute Lösungen aus dem Endkundengeschäft wie etwa PayPal an (vgl. ibi, S. 46). Diese tun auf den ersten Blick ihren Zweck. Allerdings sind auf den Konsumenten ausgerichtete Zahlungsarten nicht 1:1 auf den B2B-Handel übertragbar, beispielsweise aufgrund von Buchhaltungsanforderungen und weil Unternehmenskunden meist keine PayPal-Accounts führen.    
  • Käufer erwarten im B2B die gleiche Qualität und „User Experience“ wie im B2C-Onlinehandel: Viele Einkäufer im B2B-Bereich sind im „normalen“ B2C-Onlinehandel sozialisiert. Dort hat die Qualität der Onlineshops und Nutzerfreundlichkeit mittlerweile ein sehr hohes Niveau erreicht. Eine zeitgemäße „User Experience“, ein schlanker Check-Out-Prozess und viele Zahlungsmöglichkeiten gehören zum Standard. Auch im B2B-Handel erwarten Einkäufer dieses Qualitätsniveau – und viele B2B-Händler realisieren dies und investieren bereits heute in die Fähigkeiten ihrer Shops (vgl. McKinsey). Diese Professionalisierung wird mit mehr und vielfältigeren B2B-Onlinehändlern in Zukunft eher noch zunehmen. Es ist abzusehen, dass sich – ähnlich wie bereits im B2C-Onlinehandel – die Spreu vom Weizen trennen wird und vor allem die Unternehmen am Markt bestehen, die die beste „User Experience” bieten. Auch im B2C-Bereich konnten sich letztlich vor allem die Unternehmen am Markt behaupten, die stark in ihre Omni-Channel-Fähigkeiten und das Nutzererlebnis investiert haben.
  • Große Bedeutung für Wenige – zukünftig große Bedeutung für Viele: Bereits heute generieren nach eigenen Aussagen 22% der B2B-Händler schon mehr als 50% ihres Umsatzes im Onlinehandel (vgl. ibi, S. 18). Aber bei einem Viertel der Händler macht das Internetgeschäft nur weniger als 5% aus (ibid). Das heißt im Umkehrschluss, dass viele B2B-Onlinehändler hier noch ein starkes Wachstumspotential haben. Es bedeutet aber auch, dass viele der „altmodischen“ Händler – analog zur Konsolidierung im B2C-Handel – zunehmend verschwinden werden.
  • Zunehmende Bedeutung der Marktplätze ermöglicht den Zugang auch für kleine Anbieter und Nachfrager: Ein Trend der letzten Jahre im B2C-Bereich ist die Zunahme der Bedeutung von Markplätzen. Jeder kennt Amazon, aber mittlerweile betreiben fast alle Onlinehändler auch Marktplätze, wie die Beispiele Otto, Kaufland oder Zalando zeigen. Diese Entwicklung wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im B2B-Bereich zeigen. Bereits heute gibt es stark spezialisierte Marktplätze, etwa für Logistikdienstleistungen oder Influencer. Auch offene Marktplätze, wie Mercateo, erzielen bereits erhebliche Umsätze. Ähnlich wie bei B2C-Marktplätzen ist zu erwarten, dass Marktplätze die durchschnittliche Größe der Marktteilnehmer senkt, da der Onlinehandel einfacher und komfortabler wird. Auch B2B-Marktplätze dürften vor allem durch die Breite ihres Angebotes überzeugen – was im B2B-Bereich vermutlich vor allem kleine Nachfrager und Gelegenheitskäufer dazu bringen wird, in den B2B-Onlinehandel einzusteigen. Gleichzeitig dürften die Marktplätze es aber auch Anbietern leichter machen, ihre Waren zu handeln.

Ausblick: Wie wird sich der B2B-Onlinehandel entwickeln?

Viele Schätzungen prognostizieren im B2B-Onlinehandel Wachstumsraten deutlich über dem des B2C-Onlinehandels. Ob das tatsächlich so ist, lässt sich natürlich nicht mit Sicherheit sagen. Unabhängig von der Entwicklung des gesamtwirtschaftlichen Umfelds, sprechen aber mehrere Faktoren dafür, dass der B2B-Onlinehandel eine starke Wachstumsphase ähnlich der des B2C-Onlinehandels vor einigen Jahren durchmachen wird.

Der wichtigste Grund ist vor allem die Größe des B2B-Marktes. Im B2C-Onlinehandel wird heute ein Marktvolumen von ca. 90 Mrd. Euro oder 15% des gesamten Einzelhandels erwirtschaftet (Destatis). Die durch Unternehmen eingekauften Vorleistungen, die prinzipiell im B2B-Geschäft handelbar sind, belaufen sich laut volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung auf 2852 Mrd. Euro (Destatis) – würden davon analog zum B2C-Geschäft 15% online gehandelt, ergäbe das einen Umsatz im B2B-Onlinehandel von ca. 430 Mrd. Euro. Es ist aber sogar anzunehmen, dass die Onlineumsätze noch deutlich höher liegen dürften, da im B2B-Geschäft fast ausschließlich über Distanz gehandelt wird und der noch sehr „stationäre“ Lebensmittelhandel den Onlineanteil nicht senkt.

Ein unbekannter Riese

Ein weiterer Grund ist hier vor allem die Struktur der B2B-Betriebe in Deutschland: die Mehrheit der Wertschöpfung findet in kleinen und mittelständischen Unternehmen statt. Je kleiner die Unternehmen, wie z.B. Handwerker, desto attraktiver ist der B2B-Onlinehandel (im Vergleich zur Nutzung von Schnittstellen). Auch aus Sicht der Anbieter dürfte der B2B-Onlinehandel vor allem dort attraktiv sein, wo sich direkte (virtuelle) Verhandlungen wegen der geringen Warenkorbgröße nicht lohnen. Gleichzeitig nimmt diese Gruppe der kleinen Unternehmen bisher nicht so stark am B2B-Onlinehandel teil. Die Entwicklung im B2C-Bereich hat aber gezeigt, dass letztlich jeder digitale Handelsformen nutzen wird – solange Angebot und „User Experience“ überzeugen.

Auch wird eine neue Generation von Einkäuferinnen und Einkäufern immer weniger bereit sein, über nicht-digitale Formate einzukaufen. Die zunehmend digitalisierten Prozesse in den Unternehmen, eine stärkere Heimarbeit und weniger Geschäftsreisen dürften hierzu beitragen. Letztlich ist es auch wahrscheinlich, dass die Entwicklung des B2B-Onlinehandels auch angebotsseitig getrieben wird. Ähnlich wie im B2C-Bereich dürften B2B-Händler, die bereits heute die technischen Fähigkeiten haben, die eingesessenen Händler in ihren Branchen vor sich hertreiben – entweder sich auch zu digitalisieren, oder bis hin zu einer Marktkonsolidierung.

Wie stark der B2B-Onlinehandel auch wächst, eines dürfte sicher sein: Er ist ein unbekannter Riese.