Warum die Galeria-Schließungen ein strategischer Fehler sein könnten

Nicht nur Leipziger dürften von der Ankündigung der Schließung „ihrer“ Galeria-Filiale enttäuscht sein. Der folgende Beitrag erklärt, warum die diesjährigen Galeria-Schließungen ein strategischer Fehler sein könnten.

Galeria Karstadt Kaufhof hat gestern angekündigt, 52 seiner circa 130 Filialen zu schließen. Nach der großen Schließungswelle 2020 (siehe Handels.blog-Anlyse hier), ist dies ein erneuter Versuch, das Unternehmen zukunftsfähig zu machen. Nach Veröffentlichung der Liste herrscht in den betroffenen Städten Bestürzung. Bremen, Dortmund, oder Leipzig sind nur einige der Großstädte, die ihre letzte Warenhausfiliale verlieren. Nicht nur deshalb fragt man sich als Beobachter, auf welcher Basis die Entscheidung für die Galeria-Schließungen in dieser Insolvenzrunde getroffen wurde.

Update: Dieser Beitrag wurde am 14.03.2023 verfasst. Nach Medienberichten hat sich Galeria bereits am 16.03.2023 entschlossen, fünf ursprünglich von der Schließung bedrohte Filialen doch nicht zu schließen: Bayreuth, Erlangen, Leipzig, Oldenburg, und Rostock. Wie vermutet, wird dies mit weiteren Zugeständnissen seitens der Vermieter begründet.

Marktorientierte Unternehmensführung

Marktorientierte Unternehmensführung denkt vonseiten der Nachfrage. Für welche Produkte gibt es (ggf. segmentspezifische) Bedarfe? Wo gibt es viel Kaufkraft und Bedarf für Händler? Galeria scheint unter dem Druck des Insolvenzverfahrens eine eher angebotsseitige Entscheidung getroffen zu haben, d.h. eine Entscheidung zur Schließung von Filialen, die sich stark an unternehmensinternen Faktoren und weniger stark am Marktbedürfnis orientiert. Zwar können wir die genauen Beweggründe und Entscheidungsprozesse zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht genau nachvollziehen. Eine Analyse der Galeria-Schließungen gibt aber erste Aufschlüsse.

Galeria-Schließungen

Analyse des Bestandes und der Galeria-Schließungen

Für die Analyse habe ich die umfangreichen Daten der Immobilienzeitung (Stand: 27.10.2022) zu den Standorten im Bestand mit der Schließungsliste verglichen und um weitere Informationen angereichert. Man sollte die einzelnen Punkte allerdings mit einer Prise Salz zu sich nehmen: Die Faktenlage zu den Filialen ist teils unklar. Außerdem hat sich schon in der letzten Schließungsrunde 2020 gezeigt, dass hier das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. In der Gänze scheint das Unternehmen aber durch unternehmensinterne Erwägungen getrieben und weniger strategisch agiert zu haben. Abbildung 1 fasst erste Ergebnisse zusammen.

Doppelstandorte bleiben

  1. Leicht überproportional Mietvertragsfilialen geschlossen, und weniger Filialen im Eigentum: 59 % der Bestandsfilialen, aber 63 % der geschlossenen Filialen werden gemietet. Der nur geringe Unterschied zeigt aber, dass man, anders als in der vorherigen Runde, weniger Rücksicht auf die Besitzverhältnisse nimmt. Viele der jetzigen Mietfilialen wurden aber schlichtweg nach 2020 bereits veräußert.
  2. Zahlreiche Doppelstandorte bleiben: Neben den großen Städten (Berlin, Hamburg, München, Köln) mit mehreren Filialen, bleiben auch in zahlreichen kleineren Städten anscheinend zwei Filialen erhalten. Zwar sieht man, dass mehr Filialen an Doppelstandorten geschlossen wurden, als im Bestandsdurchschnitt (71 % vs. 58 %). Es verwundert jedoch, dass Freiburg, Münster oder Trier das Potenzial für zwei Filialen hergeben. Hier lassen sich unternehmensinterne Beweggründe vermuten (etwa Rücksichtnahme auf Kooperationspartner, oder schwer kündbare Mietverträge).

Filialen in kleineren Städten bleiben

  1. Zahlreiche Filialen in kleineren Städten bleiben: Einerseits fallen die einzigen Filialen in Großstädten wie Bremen, Dortmund, Essen oder Leipzig weg. Andererseits bleiben zahlreiche Filialen in Städten mit circa oder weniger als 50.000 Einwohnern übrig. Das betrifft nicht nur das Stammhaus in Wismar. Auch in Memmingen, Singen, Lörrach, Speyer, Goslar, Bad Kreznach und Kleve bleiben die Filialen erhalten. Zwar erprobt Galeria in Kassel derzeit die Idee eines Regionalkaufhauses. Die Vielzahl der Kleinststandorte erstaunt doch.
  2. Risikofilialen aus 2020 bleiben: Im Zuge der letzten Schließungswelle wurden einige Standorte durch Zugeständnisse der Vermieter vor dem Aus bewahrt. Namhafte Beispiele waren hier Chemnitz, aber auch zahlreiche Berliner Filialen, die durch Verhandlungen mit dem Senat gerettet wurden. Diese Filialen scheinen es, wider Erwarten, auch 2023 zu schaffen. Vermutlich ist Signa durch damalige Zugeständnisse gebunden, oder die Vermieter an weniger attraktiven Standorten haben in dieser Verhandlungsmieten bei den Mieten erneut nachgegeben. Andersherum könnten Immobilienbesitzer in attraktiven Standorten (z.B. in Leipzig) vielleicht weniger zu Zugeständnissen bereit gewesen sein.

Stadtteilfilialen bleiben

  1. Stadtteilfilialen bleiben: Viele Beobachter sehen die Zukunft des Warenhauses kritisch. Die herrschende Meinung vertritt hierbei die Ansicht, dass wenn sich ein Warenhaus rechnen kann, dann in der Innenstadt. Dies würde das Aus für Stadteilfilialen bedeuten. Zahlreiche solcher Filialen bestehen aber anscheinend weiter, nicht nur in Berlin-Spandau oder Tegel, auch in Köln Nippes oder im Alstertal-Einkaufszentrum in Hamburg.
  2. Investitionsstandorte werden nicht geschlossen: Filialen, in denen in jüngerer Vergangenheit investiert wurde, werden nicht geschlossen. Beispiele hierfür sind Kassel und Dresden. Zwar dürfte die Investition die Filialen aufwerten, allerdings sind hier „versunkene Kosten“ der Treiber der Entscheidung und weniger strategische Erwägungen.
Anteil der Galeria-Filialen im Bestand und der Schließung
Abb. 1: Anteil der Galeria-Filialen im Bestand und der Schließung

Zukunft der Warenhäuser in Deutschland fraglich

Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die Entscheidung für oder gegen bestimmte Standorte weniger vom Marktpotential, sondern stark durch die vertraglichen Gegebenheiten der jeweiligen Standorte und durch die Zugeständnisse der Vermieter getrieben waren. Dies war bereits bei den Galeria-Schließungen 2020 so. Ein Blick auf Abb. 1 verdeutlicht, dass die Galeria-Schließungen grob die heutige Standortstruktur widerspiegeln. Aber eine solche angebotsorientierte Fortschreibung des Bestehenden in die Schließung ist keine strategische Neuausrichtung.  

Zwar muss man Galeria anrechnen, dass ein Insolvenzverfahren kein strategisches Wünsch-Dir-Was ist. Am Ende müssen schnelle und pragmatische Entscheidungen getroffen werden, die sich am Machbaren orientieren, Liquidität sichern und die Restrukturierung des Unternehmens erlauben. Eine solche, wenig strategische Entscheidungslogik, kann aber eigentlich keine Arbeitsgrundlage für ein langfristig erfolgreiches Unternehmen sein. Im Idealfall schafft sich Galeria zumindest Luft, um sich zu restrukturieren. Dies gelang in der Vergangenheit aber nicht. So könnte das Ergebnis dieser Schließungsrunde auch genauso gut sein, dass man die gleichen Probleme einfach nur länger mit sich herumträgt. In diesem Sinne wären die Galeria-Schließungen in ihrer heutigen Form ein strategischer Fehler. Auch deshalb ist die Zukunft der Warenhäuser in Deutschland fraglich.

Galeria-Schließungen: Was bleibt den betroffenen Städten?

In diesem Fall ist das Prinzip Hoffnung vielleicht nicht nur eine Plattitüde. In der letzten Schließungsrunde 2020 hat Galeria die Schließungsankündigung genutzt, um mit einigen Immobilienbesitzern nachzuverhandeln, Arbeitnehmervertretungen zu Zugeständnissen zu bewegen, oder mit Städten „Deals“ für städtebauliche Freiheiten anderer Liegenschaften zu schließen (z.B. in Berlin). Dies könnte auch in dieser Runde von Galeria-Schließungen wieder der Fall sein.

Und wenn nicht: was bleibt den betroffenen Städten? Es gibt sicher kein Patentrezept. Und Städte sind häufig nicht die Besitzer der Handelsimmobilien in ihren Zentren. Aber Städte können versuchen, die Vielfalt ihrer Innenstädte zu fördern. Innenstadt ist nicht nur Handel, auch wenn dieser sehr wichtig ist. Innenstadt ist auch Gastronomie, sind auch Büros und Wohnungen, Kultur, Bildung, Verwaltung und andere Dienstleistungen. Warum nicht wieder mehr klassische Handwerker? Diese Diversifizierung geht nicht von heute auf morgen. Städte müssen investieren, planerisch eingreifen und sie brauchen Beharrlichkeit.