In der öffentlichen Diskussion wirkt es so, als ginge die Digitalisierung mit einem Bedeutungsverlust des Menschen im Handel einher. Amazon packt sein Päckchen mit Robotern, Zalando ersetzt seine Marketingfachleute durch künstliche Intelligenz und selbst im lokalen Handel sind schon Kassen ohne Kassierer zu finden. Entmenschlicht uns der digitale Handel? Nein, aber er verlangt Veränderung.
Konstanter technologischscher Wandel
Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von technologischem Wandel. Traktoren ersetzten die Menschen am Pflug, E-Loks die Heizer oder die digitale Druckerpressen die Buchsetzer, die zuvor selbst einmal die Schreiber ersetzten. Der technologische Wandel hat allzeit dafür gesorgt, dass bestimmte Tätigkeiten obsolet wurden. Weniger wurde die Arbeit deshalb nicht. Maschinen müssen gewartet, Computer programmiert und Betriebe gesteuert werden. Aber die Art der Arbeit hat sich verändert.
Serie zu gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung: |
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– Führt Onlinehandel zu einer Erhöhung des Energieverbrauchs? – Wider ein Mehr an Kundendaten – Der Mensch im digitalen Handel (dieser Beitrag) |
Digitalisierung im Handel
Auch im Handel ergeben sich neue Herausforderungen. Bestimmte Tätigkeiten werden in Zukunft ohne menschliches Zutun durchgeführt werden, wie etwa Auspreisen (elektronische Preisschilder), Abkassieren („Self-Check-Out“), Reinigen oder Einräumen (Roboter). Dabei fällt auf, dass zuerst die einfachsten Tätigkeiten ersetzt werden, die gleichzeitig nicht direkt an der Wertschöpfung beteiligt sind. Dadurch können Mitarbeiter sich auf Wertschöpfenderes konzentrieren: Kunden beraten, digitales Equipment konfigurieren, Sortiment auswählen, etc. Es wäre zwar blauäugig zu behaupten, dass es in jedem Verkaufsformat zu einer bloßen Umschichtung der Arbeit käme. Die Anzahl der Arbeitsplätze wird in Handelsformaten, die wenig Spezialisierung und Beratung benötigen, vermutlich langfristig sinken. Aber klagen nicht alle Händler über Personalmangel?
Gleichzeitig kann Technologie die Arbeit des Menschen aufwerten. Niemand kann behalten, welche Artikel sich gerade im Lager oder einer anderen Filiale befinden – digital integrierte Warenwirtschaftssysteme sehr wohl. Einzelne Verkäufer können auf Basis persönlicher Erfahrung empfehlen. Aber die Daten unzähliger weiterer Transaktionen stellen eine wertvolle Informationsquelle dar, mit der sich Empfehlungen verbessern lassen.
Mensch im digitalen Handel: Notwendigkeit der Entwicklung der Mitarbeiter
Klar ist aber, dass die neue Arbeit des Menschen im digitalen Handel anderer Fähigkeiten bedarf. Tätigkeiten wie digital gestützte Beratung, oder Steuerung von Maschinen benötigen andere Qualifikationen, als das Einräumen von Regalen. Kassiererinnen und Kassierer müssen sich heute weniger Preise merken, dafür aber eine Vielzahl von sich wandelnden digitalen Geräten bedienen (z.B. für das relativ neue mobile Bezahlen). Und hier liegt die Verantwortung der Händler, da diese für die Entwicklung ihrer Mitarbeiter zuständig sind. Dies ist nicht nur gesellschaftlich, sondern auch unternehmerisch relevant. Denn in einem knappen Arbeitsmarkt erscheint es günstiger, die derzeitigen Mitarbeiter zu qualifizieren, als immer wieder neue zu suchen. Auch die Ausbildung von Einzelhandelskaufleuten muss an die neuen Herausforderungen angepasst werden – wie dies mit dem Kaufmann im E-Commerce ja durchaus geschieht.
Auch politische Initiative ist gefragt
Aber auch politische Initiative ist gefragt. Zahlen aus dem Freistaat Sachsen verdeutlichen dies: In Sachsen arbeiten circa zweihunderttausend Menschen im Handel. Das entspricht einem Zehntel aller Beschäftigten und dem Hundertfachen der Mitarbeiter im Braunkohlebergbau (siehe Abb. 1). Diese Mitarbeiter stehen vor großen Herausforderungen, da – wie oben beschrieben – die Anforderungen an ihre Arbeit wachsen. Gleichzeitig schaffen nicht alle Betriebe den Strukturwandel im Handel. Karstadt Leipzig ist hier ein prominentes Beispiel: 400 Menschen müssen sich dort ab Februar eine neue Arbeit suchen.
Der politische Fokus liegt aber häufig auf Themen, die eine gesellschaftlich deutlich kleinere Gruppe betreffen. Das beste Beispiel ist der gestrige Braunkohlegipfel im Kanzleramt mit vier Ministerpräsidenten. Durch die Digitalisierung wandelt sich die Arbeit der Menschen in allen Branchen, nicht nur im Handel. Dieser strukturelle Wandel sollte im Fokus stehen. Sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene wäre es deshalb wünschenswert, den durch Digitalisierung ausgelösten strukturellen Wandel zu begleiten und Anpassung zu fördern. Denn Digitalisierung ist mehr Breitbandausbau.
Tendenzen der Vermenschlichung
Gleichzeitig zeigen sich Entwicklungen, die nicht für eine Ent-, sondern für eine Vermenschlichung des digitalen Handels sprechen. Einerseits suchen immer mehr E-Commerce-Händler die Innenstädte, zum Beispiel um dort in Kontakt mit neuen Zielgruppen zu kommen. Andererseits sehen wir auch im rein elektronischen Handel durch Personalisierung des Angebots einen Geltungsgewinn des Individuums – zum Teil von Verbrauchern gewollte (z.B. personalisierte Empfehlungen), zum Teil ungewollt (z.B. individualisierte Preise).
Der digitale Handel entmenschlicht uns also nicht. Er schafft Chancen zur Verbesserung der Handelsdienstleistung, gleichzeitig aber auch ganz menschliche Herausforderungen bei der Mitarbeiterentwicklung, denen sich der Handel und die Politik stellen müssen. Der Mensch im digitalen Handel geht also nicht verloren, aber er wird sich wandeln müssen.
Dieser Artikel ist Teil einer Serie von Diskussionsbeiträgen zu gesellschaftlichen Konsequenzen der Digitalisierung, mit besonderem Bezug zum digitalen Handel. Die Beitrage sollen zur Diskussion anregen und stellen teils Ergebnisse der eigenen Forschung dar. Vorherige Beiträge diskutierten etwa empirische Ergebnisse zur Auswirkung des Onlinehandels auf unseren Energieverbrauch oder die Rolle von Kundendaten dar.