Auswirkung einer Warenhausschließung auf Besucherfrequenzen in der Innenstadt

Mit der erneuten Insolvenz von Galeria-Karstadt-Kaufhof fragen sich viele Städte, welche Auswirkungen eine mögliche Schließung „ihres“ Warenhauses auf die Innenstadt hat. Auf Basis von Daten vergangener Galeria-Karstadt-Kaufhof-Schließungen wagt dieser Beitrag wagt eine erste grobe Analyse der Auswirkung einer Warenhausschließung auf Besucherfrequenzen in der Innenstadt.

Warenhäuser als Frequenzbringer

Warum machen sich gerade viele Städte Sorgen? Neben der Versorgungsfunktion und ihrer Rolle als Arbeitgeber, könnten Warenhäuser als Frequenzbringer für die Innenstadt wirken. D.h. durch das Warenhaus steigt die Besucherfrequenz in der Innenstadt – oder sinkt, falls das Warenhaus schließt. Dieser Wegfall von Frequenz könnte mittelfristig die Innenstadt als Ganzes schwächen.

Erste quantitative Beurteilung

Im Lichte der derzeitigen Turbulenzen um Galeria-Karstadt-Kaufhof (kurz: Galeria), erscheint eine erste quantitativen Betrachtung daher sinnvoll, um ein wenig Objektivität in die Auswirkung einer Warenhausschließung auf Besucherfrequenzen in der Innenstadt zu bringen. Aufgrund der Aktualität des Themas ist die vorliegende Analyse eine erste hemdsärmelige Schätzung und noch keine abgeschlossene (und begutachtete) wissenschaftliche Arbeit—diese befindet sich in Arbeit. Die Ergebnisse sind daher vorläufig. Die Beurteilung der Validität der Ergebnisse dieses Beitrages überlasse ich der Leserin, bzw. dem Leser und verweise auf die skizzierten Verbesserungspotentiale am Ende des Beitrages.

Die Grundlage der Analyse sind die Galeria-Schließungswellen der letzten Jahre (von ca. 170 auf derzeit ca. 90 Filialen). Diese Schließungen habe ich mit Frequenzdaten des Unternehmens hystreet verknüpft. Hystreet misst die Frequenz an festen Punkten in einer Stadt (z.B. der Grimmaischen Straße in Leipzig) – wobei jeweils der nächste Messpunkt einer Filiale zugeordnet wurde. Üblicherweise beträgt der Abstand deutlich weniger als einen Kilometer. Weil nicht für jeden Standort (ausreichend) nahe oder zeitlich passende Frequenzmessungen vorlagen, beruht die Untersuchung auf 19 Schließungen und 49 bisher offen gebliebenen Filialen.

Die vorliegende Untersuchung basiert auf Daten von hystreet.com, einem Anbieter, der sich auf das Zählen von Besucherfrequenzen in vielen deutschen Innenstädten spezialisiert hat. Der Autor dankt Hystreet für den freien Zugang zu den Daten.

Frequenzveränderung nahe den geschlossenen Filialen

Der einfachste Weg wäre eine Betrachtung der Frequenzveränderung nahe den geschlossenen Filialen. Hier würde man für jeden Standort, oder den Durchschnitt aller Standorte, analysieren, ob ein Frequenzrückgang über Zeit besteht (Differenz-Ansatz).

Die Betrachtung der absoluten Frequenzveränderungen in der Nähe der geschlossenen Filialen ergibt aus mindestens drei Gründen jedoch keinen Sinn:

  1. Saisonalität führt zu Frequenzveränderungen: Die Schließungen erfolgten zu unterschiedlichen Zeitpunkten innerhalb jedes Jahres. Folgt auf eine Schließung z.B. das frequenzstarke Weihnachtsgeschäft, wären Aussagen nicht sinnvoll.
  2. Covid19-Maßnahmen: Lock-Downs und Ladenschließungen führten zu Frequenzveränderungen. Je nach Galeria-Schließungszeitpunkt werden die Ergebnisse davon beeinflusst.
  3. Unbeobachtete Managemententscheidungen: Die Diskussion um unklare Eigentumsstruktur und Mietnachverhandlungen zeigt, das unbeobachtete Managemententscheidungen die Schließung von Galeria-Standorten beeinflusst. Man könnte beispielsweise Standorte in Städten mit einer insgesamt niedrigen Frequenz oder niedriger Kaufkraft schließen. Ein Rückgang wäre dann nicht verwunderlich.

Abbildungen 1A und 1B verdeutlichen dies: In Panel A sind die täglichen Passantenfrequenzen relativ zum Schließungszeitraum abgetragen, wobei die rote Linie den Mittelwert aller Standorte darstellt. Im Panel B zeigt den Mittelwert nach Schließungsjahr. An der Schwankung der Einzelfrequenzen (Panel A) sieht man die Saisonalität, am Verlauf der 2020er-Schließungen (Panel B) die Auswirkung der Covid-Maßnahmen. Viele Standorte wurden 2020 im September/Oktober geschlossen—und Weihnachten 2020 gingen die Frequenzen aufgrund von Lock-Down und Ladenschließungen zurück, ganz ohne Galeria-Zutun. Diese „Delle“ erkennt man in 1B deutlich. Daher verzichte ich auf eine weitere Interpretation der Darstellungen 1A und 1B im Lichte der Fragestellung.

Relative Betrachtung

Für eine validere Betrachtung benötigen wir eine Kontrollgruppe nicht geschlossener Filialen, um damit eine relative Betrachtung durchzuführen. Dies kontrolliert für Saisonanalität, Sondereffekte (Covid) und Managemententscheidungen. In einem Labor-Experiment würde man Kontroll- und Experimentalgruppe zufällig wählen—das ist in der Realität allerdings (vielleicht zum Glück) im Regelfall nicht möglich.

Statistisch kann man hier verschiedene Vorgehensweisen wählen, um eine relative Betrachtung zu ermöglichen. Die hier durchgeführte Grobschätzung basiert auf „gematchten“ (d.h. gleichartigen) Kontrollgruppen und einem Differenzvergleich („Difference-in-Difference“). D.h. wir betrachten, wie sich die Besucherfrequenzen an den Standorten nach der Schließung relativ zu einem Vergleichsstandort verändern. Die Kontrollgruppe der Vergleichsstandorte wählen wir aufgrund von Gleichheit aus dem „Spender-Pool“ von nicht geschlossenen Filialen—wir ordnen also jeder der 19 Schließungsfilialen eine der 49 noch offenen Filialen aus unserer Stichprobe zu.

Auswahl der Vergleichsstandorte

Die Auswahl der Vergleichsstandorte erfolgt mittels eines statistischen Verfahrens („propensity score matching“), auf Basis der Bevölkerungsanzahl der Stadt. Diese Variable bildet die Attraktivität des Standortes grob ab (siehe Diskussion der Verbesserungsmöglichkeiten am Ende des Beitrages).  Relevant sind auch nicht die absoluten Unterschiede, sondern die Veränderung des relativen Unterschiedes („difference-in-difference“)—daher muss die Standorte nicht perfekt gleich sein. Wir vergleichen 19 Schließungen mit 19 offenen Standorten, beispielsweise Bonn (geschlossen im Oktober 2020) mit Bielefeld (offen; beide ca. 330,000 Einwohner, beide ca. 30-40,000 Passanten pro Tag an den jeweiligen Messpunkten).

Pro Periode betrachten wir geschlossene und offene Standorte im Verhältnis (geschlossen / offen): bei einem Wert von 1 sind beide Frequenzen gleich, über 1 liegt die Frequenz am geschlossenen Standort höher. Die absoluten Verhältnisse sind irrelevant—wichtig ist nur die Verschiebung nach der Schließung.

Abb. 1: Auswirkung einer Warenhausschließung auf Besucherfrequenzen in der Innenstadt

Rückgang der Besucherfrequenzen

Abbildungen 1C und 1D deuten auf einen Rückgang der Besucherfrequenzen hin: lag das Verhältnis zwischen geschlossener und offener Filiale vor der Schließung noch bei ca. 1,1, ging das Verhältnis nach der Schließung auf 1,02 zurück (-7%; Panel C). Hierbei handelt es sich um einen Rückgang in der Umgebung der vorherigen Galeria-Filialen, nicht notwendigerweise um einen Rückgang in der Innenstadt als Ganzes. Im Jahr 2022 zeigt sich zwar ein Anstieg nach der Schließung (der anschließend zurückgeht), aber hier handelt es sich nur um eine Schließung. In den Hauptschließungswellen 2022 und 2023 zeigt sich ein Frequenzrückgang, der sich erst circa fünf Monate nach Schließung stabilisiert (Panel D).

Dieser leichte Rückgang der Besucherfrequenzen ist für Städte nicht schön. Allerdings legt diese Schätzung nahe, dass eine Schließung eines Galeria-Standortes nicht das Ende der Innenstadt bedeutet.

Keine hypothesenprüfende Analyse

Die vorliegende Auswertung beschränkt sich bewusst auf eine Beschreibung, und stellt keine hypothesenprüfende Analyse dar, um keine Scheingenauigkeit bei einem noch recht groben Vorgehen zu suggerieren. Auch sollte man mit Kausalschlüssen („Schließung führt zu…“) vorsichtig sein; diese Analyse nähert sich der Kausalität an, auch wenn der aufmerksamkeisheischende Titel natürlich mehr verspricht.

Aus Forschungssicht wären, neben ausführlicher Kontrolle und Anreicherung der Daten, zahlreiche Verbesserungsmöglichkeiten denkbar, beispielsweise:

  • Matching verbessern (z.B. Einkommen und Alter der Bevölkerung als Treiber des Warenhauserfolges; durchschnittliche Besucherfrequenz)
  • Mögliche Trends vor der Schließung betrachten und dafür kontrollieren („Parallel Trends Assumption“)
  • Andere Analyse-Verfahren anwenden (z.B. synthetische Kontrollgruppen)
  • Kovariate betrachten (z.B. Unterschiede zwischen großen und kleinen Städten)
  • Differenzen alternativ innerhalb von Städten schätzen, wo eine Filiale geschlossen wurde, und eine erhalten bliebt

Und jetzt genug Kotau vor der wissenschaftlichen Robustheit–manchmal geht es auch Relevanz.


Mehr zum Thema

Zwei vergangen Beiträge haben sich bereits mit den Schließungswellen von Galeria-Kaufhof-Karstadt beschäftigt:

Diese und weitere Verbesserungen werden in einem begutachteten wissenschaftlichen Beitrag durchgeführt. Bis dieser in einer mehr oder weniger fernen Zukunft vorliegt, hoffe ich, mit dieser Einschätzung ein wenig Transparenz in die Diskussion der Auswirkung von Galeria-Schließungen auf die Innenstädte gebracht zu haben.


Die in der Analyse enthaltenen geschlossenen Standorte sind folgende Städte enthalten:

  • Bonn
  • Braunschweig
  • Celle
  • Düsseldorf
  • Essen
  • Flensburg
  • Frankfurt a.M.
  • Gelsenkirchen
  • Halle (Saale)
  • Hannover
  • Ingolstadt
  • Mainz
  • Mannheim
  • München
  • Nürnberg
  • Osnabrück
  • Paderborn
  • Trier
  • Wiesbaden